Rz. 708

Anders als bei einem Verstoß gegen die Vermögensbindung ist bei einem Verstoß gegen die Erfordernisse der tatsächlichen Geschäftsführung, z. B. die Förderung steuerbegünstigter, nicht satzungsgemäßer Zwecke oder unrichtige Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen, der Verlust der Steuerbegünstigung auf den Zeitraum des Verstoßes im o. g. Sinn beschränkt.[1097]

 

Rz. 709

Allerdings können Verstöße der tatsächlichen Geschäftsführung gegen das Gebot der selbstlosen Mittelverwendung gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AO so schwerwiegend sein, dass sie einer Verwendung des gesamten Vermögens für satzungsfremde Zwecke und somit einem Verstoß gegen die satzungsmäßige Vermögensbindung gleichkommen, so dass sie eine Nachversteuerung für die letzten zehn Jahre rechtfertigen.[1098] Schüttet eine gemeinnützige GmbH die aus der gemeinnützigen Tätigkeit erzielten Gewinne überwiegend verdeckt an ihre steuerpflichtigen Gesellschafter aus, liegt nach der Rechtsprechung ein schwerwiegender Verstoß gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 AO vor, der die Anwendung des § 61 Abs. 3 AO ermöglicht.[1099]

 
Praxis-Beispiel

Verstoß gegen das Gebot der Selbstlosigkeit

Eine gemeinnützige Körperschaft hat im Laufe ihres Bestehens erhebliche stille Reserven in Immobilien gebildet.[1100] Soweit sie im Rahmen der Vermögensverwaltung und nicht in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gehalten werden, ist ihre Realisierung steuerfrei, unerheblich davon, ob es sich bei der gemeinnützigen Körperschaft um eine GmbH, eine Stiftung oder einen Verein handelt. Wird nun im Laufe der folgenden zehn Jahre die Körperschaft aufgelöst und das Vermögen einschließlich der realisierten Gewinne aus der Veräußerung der Immobilien satzungswidrig an die Mitglieder bzw. Gesellschafter ausgekehrt bzw. jedenfalls nicht für begünstigte Zwecke verwendet, greifen die Regeln der Nachversteuerung ein.[1101]

 

Rz. 710

Ein Verstoß gegen steuerlich irrelevante Satzungsbestimmungen beeinträchtigt die Steuerbegünstigung dagegen nicht. Das gilt auch bei Verletzungen wesentlicher Bestimmungen, z. B. bei Missachtung steuerlich unbedeutender Anordnungen des Stifters oder bei Verletzung von Geschäftsführerpflichten, selbst wenn dieses Verhalten einen wichtigen Grund zur Kündigung des Geschäftsführervertrags bildet.[1102]

 

Rz. 711

Ist die tatsächliche Geschäftsführung noch nicht aufgenommen worden, kann die Gemeinnützigkeit noch nicht abschließend geprüft werden. Die Finanzverwaltung gewährt in der Anfangsphase eine gewisse Zeit, bis die Geschäftsführung tatsächlich tätig werden muss.

[1099] BFH, Beschluss v. 12.10.2010, I R 59/09, BStBl 2012 II S. 226. Vgl. auch Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, § 4 Rn. 149.
[1100] Pöllath/Richter, in Seifart/v. Camphausen (Hrsg.), Stiftungsrechts-Handbuch, § 43 Rn. 98.
[1101] Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt bei einer Satzungsänderung BFH, Urteil v. 25.4.2001, I R 22/00, BStBl 2001 II S. 518.
[1102] Pöllath/Richter, in Seifart/v. Camphausen (Hrsg.), Stiftungsrechts-Handbuch, § 43 Rn. 88.

1.2.3.1 Handeln der Geschäftsführung

 

Rz. 712

Besteht der Vorstand einer Stiftung aus mehreren Mitgliedern, so entfällt die Steuerbegünstigung nicht schon bei dem Verstoß eines einzelnen Mitglieds, soweit es nicht einzelgeschäftsführungs- und vertretungsberechtigt ist oder mit Zustimmung der übrigen Mitglieder handelt.[1103] Ist das Handeln der Körperschaft jedoch zuzurechnen, ist der Verstoß steuerschädlich. Eine Zurechnung des eigenmächtigen Handelns eines nicht einzelgeschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Geschäftsführers kommt dann in Betracht, wenn der Sachverhalt den anderen Geschäftsführern infolge grober Vernachlässigung der ihnen obliegenden Überwachungspflichten verborgen geblieben ist. Dasselbe gilt auch für die Zurechnung des Fehlverhaltens anderer in maßgeblicher Position für die Körperschaft tätiger Personen. Bei größeren Körperschaften kann insoweit auch ein Organisationsverschulden in Betracht kommen.[1104]

 

Rz. 713

Die tatsächliche Geschäftsführung beschränkt sich nicht nur auf das Handeln der Geschäftsführung im engeren Sinne, sondern umfasst auch das Handeln von Hilfspersonen insoweit, als das fehlerhafte Handeln der Hilfspersonen der Geschäftsführung zuzurechnen ist.[1105] Daher ist neben der tatsächlichen Geschäftsführung auch die tatsächliche Geschäftstätigkeit relevant, weshalb sämtliche Angestellte und Hilfspersonen zur Beachtung der Voraussetzungen der Steuervergünstigung verpflichtet werden sollten.[1106]

[1103] Pöllath/Richter, in Seifart/v. Camphausen (Hrsg.), Stiftungsrechts-Handbuch, § 43 Rn. 93.
[1105] Pöllath/Richter, in Seifart/v. Camphausen (Hrsg.), Stiftungsrechts-Handbuch, § 43 Rn. 93.
[1106] Pöllath/Richter, in Seifart/v. Camphausen (Hrsg.), a. a. O.

1.2.3.2 Zeitnahe Mittelverwendung

 

Rz. 714

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