Rechtskraft nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Fürsorgepflicht. ehrverletzende Äußerung. öffentlicher Meinungskampf. Treuepflicht. Verschwiegenheitspflicht. Presserecht. Landesdatenschutzbeauftragte. Unabhängigkeit. Wahrnehmung berechtigter Interessen. Verhältnismäßigkeit. Anhörung. Personalakte. anonyme Äußerung. Zeitablauf. Widerruf von Äußerungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die beamtenrechtlichen Pflichten des Beamten und seines Dienstherrn werden auch dann nicht durch das Presserecht modifiziert, wenn sie einen öffentlichen Meinungskampf mit Hilfe der Presse austragen.

2. Dem Beamten ist die „Flucht in die Öffentlichkeit” auch als ultima ratio verwehrt.

3. Zur Frage, ob einem Landesminister ein rechtfertigender sachlicher Grund zur Seite steht, wenn er auf einen öffentlichen Angriff der Landesdatenschutzbeauftragten mit öffentlicher Kritik an ihrer Amtsführung als Beamtin reagiert.

4. Der Widerruf einer Äußerung kann als Erfüllung und Teil des dem Beamten von seinem Dienstherrn im Rahmen der Fürsorgepflicht noch geschuldeten Schutzes ein notwendiges und geeignetes Mittel sein, eine Ansehensbeeinträchtigung nicht weiter fortbestehen zu lassen.

5. Der Dienstherr verletzt seine Fürsorgepflicht, wenn er ehrverletzende Äußerungen Dritter verbreitet und dabei verschweigt, dass sie aus der Anonymität heraus erfolgt sind.

6. Zum Umfang der Unabhängigkeit einer Landesdatenschutzbeauftragten.

 

Normenkette

LBG §§ 98, 113b, 113d; LDSG 1991 § 22; LPresseG § 4; StGB § 193

 

Verfahrensgang

VG Stuttgart (Urteil vom 20.09.2002; Aktenzeichen 15 K 1245/99)

 

Nachgehend

BVerwG (Beschluss vom 07.07.2005; Aktenzeichen 2 B 96.04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.09.2002 – 15 K 1245/99 – teilweise geändert. Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.10.1998 und dessen Widerspruchsbescheids vom 22.02.1999 verurteilt,

  1. die vom Innenministerium in seinen Pressespiegeln vom 28.07.1995 und 31.07.1995 jeweils auf der Seite „Fernsehauswertung – Sendung der Abendschau vom 27.07.1995” veröffentlichten Aussagen

    „Thema: Harte Vorwürfe gegen den Führungsstil von Frau xxx xxxxx mit folgenden Kernaussagen ehemaliger Beschäftigter

    (Aussage 1)

    Die Außenwelt ist für Frau xxxxx der Feind. Jeder in der Verwaltung, der mit personenbezogenen Daten umgeht, ist a priori ein Feind. Und das stimmt ja überhaupt nicht. Nicht selten wenden sich Behörden von sich aus an uns, die uns fragen: Was müssen wir tun? Könnt ihr uns helfen? Frau xxxxx gibt nicht gern Rat, denn dann könnte ihr Tätigkeitsbericht ja um einen Vorwurf kürzer werden. Konkret: Die Behörde will Rat und bekommt postwendend eine Rüge. Frau xxxxx will öffentlichen Wirbel, keine sachliche Auseinandersetzung!

    (Aussage 3)

    Um zu verstehen, was das Wort „Mitarbeiterbesprechung” für die Mitarbeiter von Frau xxxxx bedeutet, muss man einfach dabei gewesen sein. Das ist ein Ort, wo Rechnungen beglichen werden, Misstrauen ausgesprochen wird, wo Kollegen vor den Augen der anderen ohne jedes Feingefühl bloßgestellt werden. Erwachsene Männer, zwischen 50 und 60 können sich nicht wehren und werden lächerlich gemacht, wie kleine dumme Jungen. Es ist menschenverachtend. Ich habe beobachtet, wie einer von Anfang an sein Zittern nicht unter Kontrolle bekam, und als er mit seinem Vortrag an der Reihe war, nur mit Mühe überhaupt ein Wort herausbekam.”

    durch Erklärung des Innenministeriums in zwei zeitlich aufeinander folgenden Pressespiegeln zu widerrufen und diese nach dem üblichen Verteiler zu versenden;

  2. die vom früheren Ministerialdirektor xxx xxxxx in Vertretung von Innenminister xxxxxxx im Schreiben des Innenministeriums vom 08.08.1995 an die Humanistische Union, Bräuhausstraße 2, 80331 München, enthaltene Behauptung

    „Dem obersten Dienstherr haben einige Beschäftigte der Datenschutzbehörde von „menschenunwürdigen Behandlungen” berichtet.”

    gegenüber der Humanistischen Union durch vom Ministerialdirektor in Vertretung des Innenministers zu unterzeichnendes Schreiben des Innenministeriums zu widerrufen;

  3. die vom früheren Ministerialdirektor xxx xxxxx in Vertretung von Innenminister xxxxxxx im Schreiben des Innenministeriums vom 08.08.1995 an die Telefonseelsorge Nordschwarzwald, Postfach 18 69, 75118 Pforzheim, enthaltene Behauptung

    „Dem obersten Dienstherrn haben einige Beschäftigte der Datenschutzbehörde von „menschenunwürdiger Behandlung durch Frau xxx xxxxx” berichtet.”

    gegenüber der Telefonseelsorge Nordschwarzwald durch vom Ministerialdirektor in Vertretung des Innenministers zu unterzeichnendes Schreiben zu widerrufen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zu einem Drittel und der Beklagte zu zwei Dritteln.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, verschiedene Äußerungen zu widerrufen.

Die Klägerin war Landesbeauftragte fü...

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