Entscheidungsstichwort (Thema)

Versammlungsrecht

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 16.04.2005; Aktenzeichen 1 BvR 808/05)

OVG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 15.04.2005; Aktenzeichen 3 M 54/05)

 

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 12.04.2005 gegen die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 12.04.2005 wird wiederhergestellt.

2. Dem Antragsteller werden folgende Auflagen für die Durchführung der Demonstration erteilt:

Für den Demonstrationsverlauf ist folgende Wegstrecke einzuhalten: … an der …, bis zum …

Der … ist als Kundgebungsort zu nutzen.

Die Teilnehmer an der Demonstration müssen mit dem Linienbusverkehr nicht vor 11.30 Uhr zum … fahren, soweit sie nicht die mitgeführten Wagen transportieren. Der Demonstrationszug hat sich spätestens um 12.15 Uhr von dort in Bewegung zu setzen. Auf dem Sammelplatz muss das Wenden der Busse ermöglicht werden, auf der … ist nur die in Laufrichtung gesehen rechte Fahrbahnseite zu benutzen.

Die Benutzung von bis zu 6 Trommeln ist erlaubt, soweit die Trommler nicht im Gleichmarsch marschieren und die Trommeln nicht so geschlagen werden, dass danach ein einheitlicher Marschtakt entsteht, den Demonstrationsteilnehmern dadurch Kommandos gegeben oder die Melodien verfassungswidriger Lieder wiedergegeben werden. Kommandodurchsagen an die Trommler sind untersagt, soweit durch diese ein einheitliches Trommeln und eine Lenkung der Demonstrationsteilnehmer z.B. im Hinblick auf einen Gleichmarsch erreicht werden soll.

Die Verwendung schwarz-weiß-roter Fahnen, Fahnen von Gebietskörperschaften der ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches sowie von Fahnen und Transparenten strafbaren oder verfassungswidrigen Inhalts ist untersagt.

Die Benutzung eines Fahrzeugs mit aufgebauter Lautsprecheranlage sowie von mehr als einem Megaphon ist untersagt. Das Megaphon darf nur zur Übermittlung organisatorischer Hinweise an die Teilnehmer der Demonstration und bei der Abschlusskundgebung genutzt werden.

Die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung ist untersagt.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt.

 

Gründe

Der Antrag ist zulässig und mit der aus dem Tenor ersichtlichen Auflage begründet.

Die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin erweist sich im Rahmen der summarischen rechtlichen Überprüfung als rechtswidrig.

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.

Vorliegend sind keine Gründe gegeben, die ein von der Antragsgegnerin verfügtes gänzliches Versammlungsverbot rechtfertigen würden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen würden, bestehen nicht. Solche sind in der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin nicht angeführt.

Auch die übrigen aufgeführten Gründe vermögen ein vollständiges Verbot der Kundgebung nicht zu tragen.

Insbesondere erfüllt das Motto der Veranstaltung nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung.

Unter Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB ist nur die inländische Bevölkerung zu verstehen. Die Beschimpfung fremder Staaten ist auch keine Volksverhetzung gegenüber deren in Deutschland lebenden Staatsangehörigen (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 130 Rn. 4). Hieran hat sich auch durch die Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 24.03.2005 nichts geändert.

Absatz 3 der Vorschrift stellt die Leugnung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung unter Strafe. Die Leugnung von Handlungen, die diese Herrschaft beendet haben, kann deshalb schon nicht tatbestandsmäßig sein.

§ 130 Abs. 4 StGB schließlich betrifft die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Das Motto der Veranstaltung allein ist auch nach dieser Regelung nicht strafbar, da es nicht Vorgänge unter dieser Herrschaft betrifft, sondern solche, die erst später vorgefallen sind.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass weder aus dem Demonstrationsmotto noch aus sonstigen Äußerungen des Antragstellers abzuleiten wäre, dass er bezweifelt, dass die Rote Armee in Vorpommern den Krieg und die nationalsozialistische Willkürherrschaft beendet hat. Das Motto stellt demgegenüber in Abrede, dass es sich hierbei um eine „Befreiung” im Sinne einer Verbesserung der Situation gehandelt habe. Diese Auffassung unterfällt jedoch dem Recht auf freie Meinungsäußerung.

Auch die Verbotstatbestände des § 15 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Versammlungsgesetz liegen nicht vor...

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