rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Versammlungsrecht. Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 27.01.2006; Aktenzeichen 1 BvQ 4/06)

 

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

3. Der Beschluss soll den Beteiligten vorab per Telefax bekanntgegeben werden.

 

Gründe

Der am 25. Januar 2006 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig gestellte und kurzfristig sowie wegen der vom Antragsteller geltend gemachten besonderen Eilbedürftigkeit ohne Vorliegen einer Antragserwiderung zu bescheidende Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 25. Januar 2006 gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 24. Januar 2006 wiederherzustellen,

ist unbegründet.

Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches in Fällen, in denen – wie hier – gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes durch die Behörde angeordnet wurde, ist geboten, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an dem einstweiligen Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse, aus dem heraus der Antragsgegner die sofortige Vollziehung angeordnet hat, vorrangig erscheint. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt regelmäßig dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Umgekehrt überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz – GG – schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlungen in der beabsichtigten Form führt.

Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 21. April 1998 – 1 BvR 2311/94 –, NVwZ 1998, S. 834 und vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –, NJW 2001, S. 2069.

Die danach vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlicher Entscheidung Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit des vom Antragsgegner verfügten Verbots der für den 28. Januar 2006 mit dem Thema: „Gegen staatliche Repressionen – Weg mit dem Paragraphen § 130 StGB” angemeldeten Versammlung mit Aufzug in … spricht.

Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde – hier der Antragsgegner – eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Mehrheitsanschauungen allein reichen zur Bestimmung des Gehalts der öffentlichen Ordnung nicht. Art. 8 GG ist für die Freiheitlichkeit der demokratischen Ordnung besonders wichtig als Minderheitenschutzrecht. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG ist daher auch bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist im Rahmen verfassungskonformer Gesetzesanwendung sicherzustellen, dass Verbote von Versammlungen im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht kommen.

Rechtlich bedenkenfrei ist es hiernach, dass § 15 VersammlG gemäß § 20 VersammlG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag/Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. In ...

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