Leitsatz

  1. Verneinte Nachteilswirkung einer baulichen Veränderung (hier: Errichtung eines unterkellerten Wintergartens unter einer Garten- bzw. Terrassensondernutzungsfläche) durch die WEG-Fachgerichte
  2. Hiergegen erfolgreiche Verfassungsbeschwerde (Verstoß gegen Art. 14 GG)
 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 Satz 2 WEG; Art. 14 GG

 

Kommentar

  1. Ein Eigentümer hatte unter seinem sondergenutzten Terrassenbereich auf der Grundlage einer Baugenehmigung mit den Fundamentarbeiten zur Errichtung eines unterkellerten Wintergartens begonnen. Im Gegensatz zur amtsgerichtlichen Entscheidung verneinten das Landgericht und das BayObLG einen Unterlassungs- und Beseitigungsantrag unter Hinweis darauf, dass keine nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks gegeben sei und der Wintergarten jedenfalls nicht störend wirke, sondern sich nach Konstruktion und verwendeten Materialien vom architektonischen Standpunkt aus gut in die vorhandene Bebauung einfüge und auch sonst mit dem sehr gepflegten Eindruck des Anwesens harmoniere. Auch auf die Wahrung landesbaurechtlicher Abstandsflächen komme es nicht an, zumal es sich um ein WEG-Grundstück handle. Ein Rechtsfehler in der tatrichterlichen Würdigung durch das LG sei auch für den Rechtsbeschwerdesenat insoweit nicht erkennbar gewesen.
  2. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde gegen beide Beschlüsse unter Hinweis auf Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG hatte Erfolg (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93 a Abs. 2b BVerfGG).

    Auch von Verfassungs wegen ist es geboten, bei der Frage, ob Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung deshalb duldungspflichtig hinzunehmen haben, weil ihnen daraus ein bloß unerheblicher Nachteil entsteht, die Schwelle der Beeinträchtigung insgesamt eher niedrig anzusetzen. Die Generalklausel in § 14 Nr. 1 WEG verschafft Raum für eine die betroffenen Grundrechte berücksichtigende Auslegung. Bei sich gegenüberstehenden Grundrechten der Wohnungseigentümer ist eine fallbezogene Abwägung der beiderseits grundrechtlich gestützten Interessen erforderlich. Vorliegend haben die Fachgerichte in ihrer Auslegung das Tatbestandsmerkmal "Nachteil" verkannt. Gerade wenn innerhalb einer Gemeinschaft Abstandsflächenregelungen aus dem Baurecht nicht zur Anwendung gelangen, muss der notwendige Schutz des Eigentumsrechts der Wohnungseigentümer untereinander durch eine sorgfältige Abwägung im Rahmen des § 22 Abs. 1 WEG sichergestellt werden, wie dies vorliegend in den angegriffenen Fachgerichtsbeschlüssen nicht ausreichend geschehen ist (anhand diverser juristischer Einzelfälle zu baulichen Veränderungen und Nachteilswirkungen wird dies in der Senatsentscheidung im Einzelnen belegt).

    Verglichen mit den vorgenannten Beispielen stellt schon der reine Umfang der kombinierten Maßnahmen Kellerbau/Wintergarten eine so erhebliche Umgestaltung der Garten- bzw. Terrassenfläche dar, dass die Anforderungen an die Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung bei einer von der Regel abweichenden Beurteilung als optisch neutrale oder verbessernde Gestaltung sehr hoch anzusetzen waren. An notwendigen Feststellungen fehlte es insbesondere bei der landgerichtlichen Entscheidung. Ohne vertiefende Erläuterung lässt es sich nicht nachvollziehen, wie sich ein Bauwerk dieser Art in den Charakter einer vorhandenen Bebauung einfügen und diesen zugleich wesentlich ändern kann. Somit hätte auch das BayObLG nicht feststellen dürfen, dass hinsichtlich der landgerichtlichen Entscheidung keinerlei Rechtsfehler erkennbar gewesen seien.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG, Beschluss vom 22.12.2004, 1 BvR 1806/04BVerfG v. 22.12.2004, 1 BvR 1806/04, NZM 5/2005, 182

Anmerkung

Wenn ich mich richtig erinnere, handelt es sich hier wohl erstmals um eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsbeschwerdesenatsentscheidung in Wohnungseigentumssachen, d.h. zum Auslegungsproblem des unbestimmten Rechtsbegriffs eines "Nachteils" im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen durch einen Eigentümer im Bereich des Gemeinschaftseigentums (§ 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG). Soll dieses "weitere Rechtsmittel" einer Verfassungsbeschwerde nicht neuerlich Schule machen, kann nur dringend empfohlen werden, dass die WE-Fachgerichte in jeweils streitigen Einzelfällen insbesondere zur Auslegung gesetzlicher unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln sorgfältige Interessenabwägungen treffen und diese auch in Entscheidungsgründen ausdrücklich niederlegen und bewerten. Zu kurze oder lückenhafte Feststellungen können andernfalls - wie hier - sogar zu einem übergeordneten verfassungsrechtlichen Problem (einer Grundrechtsverletzung) führen.

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