Kommentar

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG München vom 9.12.1987 ging es um die Auslegung von Artikel 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie . Kern des Ersuchens war die Frage, ob eine Besteuerung des sogenannten Verwendungseigenverbrauchs nur ausgeschlossen sein soll, wenn der Vorsteuerabzug wegen Verwendung eines betrieblichen Gegenstandes für nichtunternehmerische Zwecke oder für steuerbefreite Umsätze ausgeschlossen ist, oder auch dann, wenn mangels Steuerbarkeit des Vorumsatzes ein Vorsteuerabzug nicht möglich war.

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, hatte von einer Privatperson einen gebrauchten Pkw gekauft, den er sowohl unternehmerisch als auch privat nutzte. Das Finanzamt unterwarf die Abschreibung des Pkw der Umsatzbesteuerung des Verwendungseigenverbrauchs gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG , wie es der Privatnutzung des Pkw entsprach. Der Kläger meinte, da er bei der Anschaffung des Pkw keinen Vorsteuerabzug habe geltend machen können, sei er doppelt mit Umsatzsteuer belastet, wenn die anteilige Abschreibung für die Privatnutzung des Pkw der Umsatzsteuer unterworfen würde. Die Systematik der Mehrwertsteuer ließe in diesem Fall nur zu, die reinen Betriebskosten des Fahrzeugs, nicht aber die Abschreibung bei der Besteuerung der Privatnutzung zu berücksichtigen.

Die Eigenverbrauchsbesteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG hängt – so der Wortlaut – nicht davon ab, daß der Unternehmer bei der Anschaffung des für unternehmensfremde Zwecke entnommenen oder verwendeten Gegenstandes einen Vorsteuerabzug geltend machen konnte. Gerade dies sehen aber die entsprechenden Vorschriften des Artikels 5 Abs. 6 und Artikels 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie vor. Nach beiden Bestimmungen setzt die Eigenverbrauchsbesteuerung voraus, daß der für unternehmensfremde Zwecke entnommene oder verwendete Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß der EuGH mit Urteil vom 27.6.1989 entschieden hat, daß die Abschreibung eines auch privat genutzten unternehmerischen Gegenstandes nach Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie nicht als Verwendungseigenverbrauch im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG besteuert werden darf, wenn der Gegenstand von einer Privatperson erworben worden ist und deshalb die Anschaffung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt hat. Die zweite sehr wesentliche Feststellung des EuGH in diesem Urteil ist, daß sich ein Unternehmer vor den nationalen Gerichten auf Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie berufen kann, so wie der EuGH die Vorschrift ausgelegt hat.

Der Gesetzgeber bis heute keine Folgerungen aus dem EuGH-Urteil gezogen. Lediglich die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben vom 29.12.1989 (BStBl. I 1990, 35) bestimmt, daß das Urteil in der Verwaltungspraxis anzuwenden ist.

Da dem Gemeinschaftsrecht nach überwiegender Auffassung Vorrangcharakter gegenüber dem staatlichen Recht zukommt, ist die Verwaltung als Exekutive ebenso wie die beiden anderen Gewalten dazu verpflichtet, diesen Anwendungsvorrang zu beachten und im konkreten Fall entgegenstehende nationale Rechtsnormen unberücksichtigt zu lassen. Da § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG wegen seines eindeutigen Wortlauts und nach seinem Sinn und Zweck nicht richtlinienkonform im Sinne der Artikel 5 Abs. 6 und Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie ausgelegt werden konnte, war die Verwaltung also gehalten, zu regeln, daß in allen gleich gelagerten Fällen des Verwendungseigensverbrauchs ( § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG ) nach der Entscheidung des EuGH verfahren werden muß. Das BMF-Schreiben vom 29.12.1989 bestimmt daher, daß zur Bemessungsgrundlage beim Verwendungseigenverbrauch ( § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG ) nicht die auf die Privatnutzung entfallende Abschreibung eines dem Unternehmen dienenden Gegenstandes gehört, wenn der Unternehmer den Gegenstand

  • von einem Nichtunternehmer oder
  • aus dem nichtunternehmerischen Bereich eines anderen Unternehmers oder
  • aufgrund einer nach § 4 Nr. 8 28 UStG steuerfreien Lieferung oder
  • von einem unter die Regelung des § 19 Abs. 1 UStG fallenden Kleinunternehmer

erworben und deshalb kein Recht auf Vorsteuerabzug hat. Gleiches gilt für die Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG bei Gegenständen, die der Unternehmer selbst aus seinem nichtunternehmerischen Bereich in das Unternehmen überführt hat und teilweise weiterhin für unternehmensfremde Zwecke nutzt.

Obwohl wegen des vom EuGH ausdrücklich festgestellten Anwendungsvorrangs der 6. EG-Richtlinie vor dem deutschen Umsatzsteuerrecht die nach EG-Recht zutreffenden Besteuerungsregeln im Verwaltungswege getroffen worden sind, bedarf es noch einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Die Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes über den Eigenverbrauch ( § 1 Abs. 1 Abs. 2 UStG ) sind durch das EuGH-Urteil vom 27.6.1989, spätestens aber durch das Urteil vom 25.5.1993, C-193/91 (Gerhard Mohsche) weitestgehend überholt.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 06.02.1997, C-247/95

Vgl. im übrigen ...

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