Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH[1] ging es (ebenfalls wie in der am 1.12.2022 vom EuGH entschiedenen Rechtssache C-269/20[2]) um die Voraussetzungen und Unionsrechtskonformität der umsatzsteuerlichen Organschaft nach deutschem Recht. In der Vorinstanz hatte das FG Schleswig-Holstein[3] unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH und des BFH entschieden, dass hinsichtlich der finanziellen Eingliederung ein über die Mehrheitsbeteiligung hinausgehendes Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit nicht erforderlich sei.

In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ging es dem XI. Senat des BFH sowohl um eine weitere Klärung zu den unionsrechtlichen Maßstäben, wie die erforderliche Prüfung der Eingliederungsvoraussetzungen vorzunehmen sei, als auch um Klärung der Frage, ob die deutsche Organschaftsregelung mit den Vorschriften des Unionsrechts gerechtfertigt werden kann. Der XI. Senat hatte dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:

1. Sind Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 i. V. m. Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat gestatten, anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe (den Organträger) zum Steuerpflichtigen zu bestimmen?

2. Falls die Frage 1 verneint wird: Sind Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 i. V. m. Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie insoweit berufbar?

3. Ist bei der nach Rz. 46 des EuGH-Urteils Larentia + Minerva vorzunehmenden Prüfung, ob das in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG enthaltene Erfordernis der finanziellen Eingliederung eine zulässige Maßnahme darstellt, die für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet ist, ein strenger oder ein großzügiger Maßstab anzulegen?

4. Sind Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat gestatten, im Wege der Typisierung eine Person als nicht selbständig i. S. des Art. 4 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie anzusehen, wenn sie in der Weise finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers (Organträgers) eingegliedert ist, dass der Organträger seinen Willen bei der Person durchsetzen und dadurch eine abweichende Willensbildung bei der Person verhindern kann?

Im Ausgangsverfahren hatte das FG eine Organschaft zwischen einer GmbH als Organgesellschaft und A als Organträger bestätigt. A hielt 51 % der Geschäftsanteile an der GmbH, während C die restlichen 49 % hielt. Durch eine besondere Regelung im Gesellschaftsvertrag verfügte A trotz seiner Eigenschaft als Mehrheitsgesellschafter nicht über eine Stimmrechtsmehrheit. Das FG ging dennoch davon aus, dass allein die Mehrheitsbeteiligung die rechtssichere Bestimmung von A als Organträger erlaube, da C als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen sei.

Der EuGH musste eine grundsätzliche Entscheidung über die Fortgeltung des (bisherigen) deutschen Rechtsinstituts der Organschaft treffen.

Nach nationaler Rechtslage schuldet der Organträger sämtliche durch seine eigenen und die der Organgesellschaften unternehmerischen Aktivitäten entstandene USt. Diese Steuerschuldnerschaft hielt der XI. Senat des BFH mit seiner ersten und zweiten an den EuGH gerichteten Frage für ggf. unionsrechtlich zweifelhaft und scheint alleine die Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL als rechtlich zulässigen Steuerschuldner anzusehen.

Die 4. Vorlagefrage des BFH hätte diejenige sein können, die der EuGH zuerst beantwortet und es deshalb ggf. einer Beantwortung der anderen Fragen nicht mehr bedurft hätte. Der BFH selbst erläuterte umfangreich, warum die Frage 4 völlig unabhängig von den anderen Fragen gestellt wurde. Er selbst ging davon aus, dass der nationale Begründungsansatz der Organschaft begrifflich, systematisch und historisch am Merkmal der Selbstständigkeit ansetzt und daher auch als zulässige Auslegung bzw. Typisierung durch Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 4 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie gerechtfertigt sein könnte. Von daher hätte jedenfalls die erste Frage des BFH nach den ggf. unionsrechtlich unzulässigen Widersprüchen der Rechtsfolgen hinsichtlich der Bestimmung bzw. Festlegung des "Steuerpflichtigen bzw. Steuerschuldners" im Rahmen der nationalen Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwar eine zur Gruppenbesteuerung nach Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 11 MwStSystRL) sein können, aber gleichwohl die Antwort auf die 4. Frage systematisch der Antwort auf die Frage 1 vorausgehen und ggf. die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 entbehrlich machen können.

 

Entscheidung

Der EuGH hat nur die 1. sowie die 3. und 4. Frage des BFH beantwortet. Er hat entschieden:

1.Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 11 MwStSystRL) ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, zum einzigen Steuerpflichtigen...

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