Leitsatz

1. Die Anordnung der Wechselseitigkeit von Verfügungen gem. § 2270 Abs. 1 BGB kann auch im Wege der individuellen Auslegung ermittelt werden. Dies hat für jede einzelne Verfügung gesondert zu geschehen. Daher ist auch die Einsetzung eines Ersatzerben im Verhältnis zu der Einsetzung des zunächst bedachten Erben eine selbstständige, gesonderte Verfügung.

2. Da sich die Ersatzerbfolge aus § 2069 BGB ergibt, ist die Anwendung der an sich einschlägigen Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB hier nicht möglich. Diese ist auf Ersatzerben nur dann anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Ehegatten feststellen lassen, die Ersatzerbeneinsetzung also nicht allein auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht.

 

Sachverhalt

Die Beteiligten zu 1) bis 8) sind Kinder der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes, die Beteiligten zu 9) die Tochter des vorverstorbenen Sohnes K.K. Mit notariellem Ehe- und Erbvertrag setzten sich die Eheleute 1964 "gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben ein mit der Maßgabe, dass der überlebende Eheteil (…) an vorhandene pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge des verstorbenen Eheteils nach gleichen Stammteilen 3/8 des reinen Nachlasses als bares Vermächtnis anzuzeigen hat (…)". Zudem liegen praktisch identische handschriftliche Testamente der Eheleute von 1997 vor, worin es u.a. heißt "Nach dem Ableben des Letztvorversterbenden soll unser Sohn K.K. (…) als Alleinerbe erhalten."

Mit weiterem notariellem Testament setzte die Erblasserin 2000 K.K. zum Alleinerben ein und ordnete verschiedene Vermächtnisse an. Mit notariellem Testament von 2004 bestätigte sie K.K. als alleinigen Vorerben und setzte die Beteiligten zu 1) bis 8) zu gleichen Teilen als Nach- und Ersatzerben ein und ordnete Testamentsvollstreckung an. Mit notariellem Testament von 2006 traf sie unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Ersatzerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) bis 8) ergänzend u.a. eine Ersatznacherbenregelung, ordnete Vermächtnisse an und fasste die Testamentsvollstreckung inhaltlich neu.

Nachdem die Beteiligte zu 9) einen Erbschein beantragte, der sie als Alleinerbin und die Beteiligten zu 1) bis 8) einen solchen, der sie als Miterben zu je 1/8 ausweist, erließ das Nachlassgericht einen Vorbescheid zugunsten der Beteiligten zu 9) und wies die übrigen Anträge zurück. Nachdem die Beschwerde der Beteiligten zu 8) hiergegen vom LG zurückgewiesen wurde, erhebt sie weitere Beschwerde.

 

Entscheidung

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 8) ist zulässig und begründet. Zutreffend kam das LG zu dem Ergebnis, dass die getrennten Urkunden von 1997 ein formgültig errichtetes gemeinschaftliches Testament i.S.d. §§ 2265, 2247 BGB darstellen, da ein gemeinsamer Errichtungswille rechtsfehlerfrei aus beiden Urkunden herausgelesen werden kann und K.K. durch wechselseitige Verfügungen als Alleinerbe eingesetzt wurde. Die Anordnung der Wechselseitigkeit von Verfügungen gem. § 2270 Abs. 1 BGB kann hierbei auch im Wege der individuellen Auslegung ermittelt werden. Maßgeblich hierfür ist, ob im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ein übereinstimmender Wille beider Ehegatten vorgelegen hat, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also die Verfügung des einen mit der des anderen stehen und fallen soll. Hierbei ist jedoch jede Verfügung gesondert zu untersuchen. Da die Testamentsauslegung Sache des Tatrichters ist, ist die Überprüfung vorliegend auf Rechtsfehler, wie u.a. den Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften, beschränkt. Es genügt, wenn die Auslegung des Tatrichters möglich ist, sie muss nicht zwingend sein. Dies ist vorliegend der Fall. So stellte das LG neben die Umstände der Entstehung der Testamente sowie das Motiv der Eheleute, die Renovierung des Hauses, in welchem K.K. gemeinsam mit seinen Eltern lebt, rechtsfehlerfrei als Indizien für die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen fest. Auch kam das LG bei der Frage nach dem Erblasserwillen für den Fall des Vorversterbens des eingesetzten Schlusserben erst zu der Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB, nachdem eine individuelle Auslegung scheiterte. Es gab keine hinreichenden Indizien dafür, dass die Beteiligte zu 9) bei Vorversterben des Schlusserben, ihres Vaters K.K., an dessen Stelle treten sollte.

Rechtsfehlerhaft hat es das LG aber unterlassen, die Wechselbezüglichkeit der unter der Anwendung des § 2069 BGB gefundenen Ersatzberufung der Beteiligten zu 9) gesondert zu prüfen, da sich die durch Auslegung ermittelte Wechselbezüglichkeit der Einsetzung des Weggefallenen nicht auch unmittelbar auf den an dessen Stelle tretenden Abkömmling i.S.d. § 2069 BGB erstreckt. Die Wechselbezüglichkeit nach § 2270 BGB ist für jede einzelne Verfügung gesondert zu beurteilen, wozu diese erst einmal ermittelt und festgestellt werden müssen. Hierbei ist die Einsetzung eines Ersatzer...

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