Leitsatz

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg v. 1.12.2005 ging es um die Frage, ob unter den Begriff der "Übernahme von Verbindlichkeiten" gem. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) nur Geldverbindlichkeiten fallen oder auch andere – geldwerte – Verbindlichkeiten wie z. B. Dienstleistungsverpflichtungen.

 

Kommentar

Sachverhalt

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige Verträge mit verschiedenen Vertragsparteien geschlossen, die ihrerseits Grundstücke an Dritte veräußert hatten. Die Grundstücksveräußerer hatten in den Veräußerungsverträgen die Verpflichtung übernommen, noch ausstehende Renovierungsarbeiten an den Grundstücken auszuführen bzw. hatten bei Grundstücken, die noch fremd vermietet waren, Mietgarantien übernommen. In den Verträgen mit den Grundstücksveräußerern hatte die Steuerpflichtige die Renovierungsverpflichtungen und Mietgarantien übernommen. Als Gegenleistung hierfür hatten die Grundstücksveräußerer einen Teil ihrer Kaufpreisforderungen aus den Grundstücksveräußerungen abgetreten. Die Übernahme der von den jeweiligen Verkäufern eingegangenen Renovierungsverpflichtungen nebst Mietgarantie stellte nach den Feststellungen des Finanzgerichts Hamburg eine Schuldübernahme zwischen den Verkäufern und der Steuerpflichtige als Übernehmerin gem. § 415 BGB dar. Die Übernahme der Mietgarantie war nach Auffassung des Finanzgerichts ein nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStGsteuerfreier Umsatz. Das Gericht war sich allerdings unschlüssig, ob dies auch für die Übernahme der Renovierungsverpflichtung galt. Der Wortlaut des § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG spreche ebenso wie ein Vergleich mit der Entwicklung des § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG gegen eine Beschränkung auf Geldschulden. Das Gericht bezweifelte jedoch, dass dies mit Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie in Einklang stehe, weil anders als die deutsche und französische Sprachfassung der englische Text der Vorschrift nur spezielle Formen von Garantien oder Sicherheiten, nicht aber allgemein die Übernahme von Verbindlichkeiten anspreche.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die streitige Übernahme der Renovierungsverpflichtung nicht unter den Begriff der Übernahme von Verbindlichkeiten i. S. von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie fällt und damit ein steuerpflichtiger Umsatz ist. Das Urteil entspricht im Ergebnis dem von der Bundesregierung im Verfahren eingereichten Schriftsatz.

Das Urteil ist im Vergleich zu anderen Entscheidungen sehr kurz gefasst und lässt (auch aufgrund der Tatsche, dass ohne Schlussanträge entschieden wurde) erkennen, dass beim EuGH offenbar sehr schnell Klarheit herrschte. Zur Begründung verweist der EuGH zunächst auf seine ständige Rechtsprechung, dass

  • die Steuerbefreiungsvorschriften nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinieeng auszulegen sind,
  • diese Steuerbefreiungen autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe darstellen, die eine innerhalb der Mitgliedsstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen,
  • die Gemeinschaftsbestimmungen im Lichte aller Sprachfassungen auszulegen sind und nicht eine Sprachfassung alleine zur Auslegung einer Vorschrift herangezogen werden kann,
  • im Kontext aller Sprachfassungen davon auszugehen ist, dass es sich bei den in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Artikel 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) aufgeführten Umsätzen ihrer Art nach ausschließlich um Finanzdienstleistungen handelt (was auch für die Umsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 1 und 3 bis 6 gilt) und
  • von daher die Übernahme der Verpflichtung zur Renovierung einer Immobilie kein (steuerbefreites) Finanzgeschäft darstellt.
Praxis-Tipp

In seiner Begründung geht der EuGH im Vergleich zu seiner früheren Rechtsprechung zu Finanzdienstleistungen auch noch auf einen neuen Aspekt ein. Er bestätigt die von der EU-Kommission im Verfahren vorgetragene Auffassung, dass Zweck der Befreiung von Finanzgeschäften sei, Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage von Finanzumsätzen und der Höhe des damit verbundenen Vorsteuerabzugs zu beseitigen und eine Erhöhung der Kosten von Verbraucherkrediten zu vermeiden. Dieser letzte Aspekt (Vermeidung höherer Kosten beim Letztverbrauch – hier: bei Verbraucherkrediten) findet sich in der bisherigen EuGH-Rechtsprechung nur in Bezug auf Kosten für Heilbehandlungen (vgl. EuGH, Urteil v. 6.11.2003, C-45/01 (Dornier) und EuGH, Urteil v. 20.11.2003, C-307/01 (D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services).

Ob der EuGH mit diesen neuen Ausführungen zu erkennen gegeben hat, dass er künftig in Fällen des Outsourcing im Bereich der Finanzdienstleistungen eine eher weite Auslegung der Steuerbefreiungen (wie z. B. zum Begriff des eng verbundenen Umsatzes gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie [ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL]) in seinem Urteil v. 11.1.2001, C-76/99 (Kommission/Frankreich) verfolgt, bleibt abzuwarten.

 

Link zur Entscheidung

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