Rz. 118

Eine gute Übersetzung der Urkunden und Urteile ist entscheidend. Das Sprachrisiko[151] spielt im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung eine große Rolle, weil sich zwei verschiedene Rechtssysteme und i.d.R. zwei verschiedene Rechtssprachen gegenüberstehen. Bei der Anerkennung und Vollstreckung sind die beglaubigten Übersetzungen des Urteils des ausländischen Gerichts (Art. 37 lit. a türkIPRG) und des Zeugnisses, das die Rechtskraft der Entscheidung bestätigt (Art. 37 lit. b türkIPRG), beizufügen. Bei diesen Übersetzungen und bei der Verwendung fremder Terminologie unterlaufen oft grobe Fehler, die teilweise das Gerechtigkeitsgefühl tief verletzen können. Folgendes Beispiel zeigt in eklatanter Weise, welche Konsequenzen sprachliche Missverständnisse nach sich ziehen können:

 

Rz. 119

Beispiel: Ein von einem türkischen Vater abstammendes nichteheliches Kind stellte nach dem Tod seines Vaters einen Vaterschaftsfeststellungsantrag beim zuständigen Amtsgericht in Deutschland. Durch das Urteil dieses Gerichts wurde die Vaterschaft festgestellt. Bei der Übersetzung des Urteils wurde das Wort "Amtsgericht" fehlerhaft als "Sulh Hukuk Mahkemesi" (Friedensgericht) übersetzt. Dieses Urteil wurde vom zuständigen türkischen Asliye Hukuk Mahkemesi (Grundgericht) durch eine Vollstreckungsentscheidung bestätigt. Jedoch wurde diese Entscheidung vom türkischen Kassationshof (Yargitay) mit der Begründung aufgehoben, dass für dieses Verfahren in der Türkei nicht das Sulh Hukuk Mahkemesi (Friedensgericht) zuständig sei, sondern das Asliye Hukuk Mahkemesi (Grundgericht). Deswegen verstoße das Urteil gegen den türkischen ordre public (Art. 5 türkIPRG).[152] Weil der türkische Rechtsanwalt den Unterschied zwischen Amtsgericht und Sulh Hukuk Mahkemesi nicht kannte, hat er keine Berichtigungsklage gegen das Urteil des türkischen Revisionsgerichts erhoben und so wurde dieses Urteil rechtskräftig und das Kind zu "lebenslanger Vaterlosigkeit" verurteilt!

 

Rz. 120

Praxishinweis: Daher muss bei den Anerkennungs- oder Vollstreckungsanträgen der Scheidungsurteile darauf geachtet werden, dass die Gerichtsnamen unter besonderer Berücksichtigung des türkischen Gerichtssystems von kompetenten Übersetzern sinngemäß übersetzt werden.[153]

 

Rz. 121

Das Sprachrisiko spielt nicht nur bei Scheidungsurteilen eine wichtige Rolle, sondern auch bei den Scheidungsfolgen (Unterhalts-, Sorgerechts- und Schadensersatzurteile). Bei Unterhaltsentscheidungen[154] ist besonders schwierig festzulegen, welche Kriterien bei der Bemessung des Unterhalts durch deutsche bzw. türkische Gerichte zu berücksichtigen sind, da der "Bedürftigkeitsbegriff" in beiden Rechtsordnungen anders ausgelegt wird.[155] Bei der Scheidung türkischer Staatsangehöriger durch deutsche Gerichte muss die Bedürftigkeit nach türkischem Recht (Art. 175, 182 und 364 türkZGB) festgestellt werden.[156]

[151] Jayme, Das "Sprachrisiko" im deutschen und internationalen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprobleme türkischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, in: Extrait des Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul, No. 44, 1981, S. 365 f.
[152] Urteil Yargitay (türkischer Kassationshof) v. 12.9.1991, K. 113/173; für eine Kritik dieses Verfahrens siehe Aksoy, Çeviri Yanlislari (Übersetzungsfehler), in: Hürriyet (türk. Tageszeitung) v. 4.11.1992.
[153] Über das Verfahren im türkischen Gerichtssystem siehe Rumpf, Das Rechtsstaatsprinzip in der türkischen Rechtsordnung, 1992, S. 151 ff.; ders., Anmerkung zu dem Urteil des türkischen Kassationshofes, FamRZ 1993, 1210, insb. Fn 3.
[154] Die Türkei hat hinsichtlich des Unterhaltsrechts die folgenden Haager Abkommen ratifiziert: 1. Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973 (ratifiziert mit Erlass des Ministerrats v. 22.11.1982, Resmi Gazete (türk. Amtsblatt) Nr. 17961 v. 16.2.1983); 2. Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v. 2.10.1973 (ratifiziert mit Erlass des Ministerrats v. 26.11.1982, Resmi Gazete Nr. 17951 v. 6.2.1983). Vgl. Ansay, Türkei: Ratifizierung von internationalen Abkommen, StAZ 1983, 231; für die Texte der Übereinkommen siehe Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 19. Aufl. 2018, S. 808 ff. und 201 ff.
[155] Bei der Tagung der Deutsch-Türkischen Juristenvereinigung v. 9/10.12.1988 sollen die Teilnehmer den Bedürftigkeitsbegriff mit folgenden Bezeichnungen diskutiert haben: "Reis mit Zwiebeln" oder "Düsseldorfer Tabelle", vgl. Jayme, IPRax 1989, 330 f.
[156] Jayme, IPRax 1989, 331; OLG Koblenz IPRax 1986, 40 ff.; AG Gummersbach IPRax 1986, 235 ff.; Schack, Anerkennung eines ausländischen trotz widersprechenden deutschen Unterhaltsurteils, IPRax 1986, 219; OLG Köln IPRax 1989, 53.

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