Rz. 11

§ 102 BetrVG findet auch Anwendung bei einer Änderungskündigung.[1] Dabei ist die Reaktion des Arbeitnehmers unerheblich. Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, so ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet, trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (BAG, Urteil v. 21.04.2005, 2 AZR 244/04[2]). Die Änderungskündigung beinhaltet eine Beendigungskündigung durch den Arbeitgeber, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. Das Änderungsangebot muss eindeutig bestimmt bzw. bestimmbar sein (BAG, Urteil v. 10.09.2009, 2 AZR 822/07[3]). Dem Betriebsrat sind nicht nur die Gründe für die Änderung der Arbeitsbedingungen, sondern auch das Änderungsangebot mitzuteilen (BAG, Urteil v. 19.5.1993, 2 AZR 584/92[4]). Der Arbeitnehmer kann sich nach Ausspruch der Änderungskündigung für oder gegen die Annahme des Angebots entscheiden bzw. das Angebot unter Vorbehalt annehmen (§ 2 KSchG).

 
Hinweis

Da vor Ausspruch einer Änderungskündigung nie auszuschließen ist, dass es zu einem Beendigungsrechtsstreit kommt, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Kündigung anhören.

 

Rz. 12

Erfordert das Angebot neuer Arbeitsbedingungen eine Umgruppierung oder Versetzung des Arbeitnehmers, muss der Arbeitgeber bei allen denkbaren Fallkonstellationen (Annahme des Angebots durch den Arbeitnehmer, Annahme unter Vorbehalt, Ablehnung des Angebots) sowohl das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG als auch das Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG durchführen (BAG, Urteil v. 30.9.1993, 2 AZR 283/93[5]). Die Gegenmeinung[6], die in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall fortsetzen will, dies aber mit einer Ein- oder Umgruppierung verbunden ist, lediglich die Durchführung des Verfahrens nach § 99 BetrVG für erforderlich hält, ist unpraktikabel, da sie für den Arbeitgeber ein nicht kalkulierbares Risiko mit sich bringt. Es ist sowohl das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG als auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG vor Ausspruch der Änderungskündigung durchzuführen, da zu diesem Zeitpunkt nicht sicher feststeht, ob der Arbeitnehmer das Angebot annehmen wird. Im Fall der Nichtannahme des Änderungsangebots (mit oder ohne Vorbehalt) durch den Arbeitnehmer, wäre die Kündigung schon wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG unwirksam, wenn der Betriebsrat allein nach § 99 BetrVG angehört worden wäre.).

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitgeber kündigt den im Betrieb München beschäftigten Arbeitnehmer, bietet ihm aber gleichzeitig einen Arbeitsplatz im Betrieb Hamburg an.

 
Hinweis

Die Verfahren nach § 102 und § 99 BetrVG können und sollten gleichzeitig durchgeführt und miteinander verbunden werden.

[1] Fitting, § 102 Rz. 9; DKK/Kittner/Bacher, § 102 Rz. 13, Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 12.
[2] NZA 2005, 1194.
[3] NZA 2010,333.
[4] NZA 1993, 1075.
[5] NZA 1994, 615.
[6] Fitting, § 102 Rz. 11.

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