10.1 Voraussetzungen

 

Rz. 119

Gem. § 102 Abs. 5 BetrVG muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, wenn der Betriebsrat der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat. Diese allgemeine Beschäftigungspflicht besteht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Im Einzelnen setzt der Weiterbeschäftigungsanspruch voraus:

10.1.1 Ordentliche Kündigung

 

Rz. 120

Erforderlich ist eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers. Auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit dieser Kündigung kommt es nicht an. Bei einer außerordentlichen Kündigung ist § 102 Abs. 5 BetrVG nicht anwendbar.[1] Allerdings kann nach der Grundsatzentscheidung des BAG (BAG, Beschluss v. 27.2.1985, GS 1/84) bei einer offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht werden.

 
Praxis-Beispiel

Beispiele für eine offensichtliche Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung:

Die Kündigung wird nicht vom Arbeitgeber, sondern von einem dazu nicht berechtigten Mitarbeiter erklärt; die Kündigung wird entgegen § 623 BGB mündlich ausgesprochen; die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist nach dem eigenen Sachvortrag des Arbeitgebers versäumt.

 
Hinweis

Kündigt der Arbeitgeber einem tarifvertraglich oder vertraglich unkündbaren Arbeitnehmer außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, ist § 102 Abs. 5 BetrVG entsprechend anwendbar (BAG, Urteil v. 5.2.1998, 2 AZR 227/97[2]).

 

Rz. 121

Spricht der Arbeitgeber neben der außerordentlichen hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus, besteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers.[3] Nach dem eindeutigen Wortlaut gilt § 102 Abs. 5 BetrVG nur bei ordentlichen Kündigungen (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 8.6.2011, 8 SaGa 7/10). In Missbrauchsfällen kann der Arbeitnehmer den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machen.

 

Rz. 122

Bei einer Änderungskündigung findet § 102 Abs. 5 BetrVG nur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt, da dann eine Beendigungskündigung vorliegt. Nimmt er das Angebot des Arbeitgebers unter Vorbehalt an und erhebt er fristgerecht Klage, besteht kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung, da nur über den Inhalt, nicht über den Bestand des Arbeitsverhältnisses gestritten wird (BAG, Urteil v. 28.1.1990, 2 AZR 183/89[4]; BAG, Urteil v. 27.3.1987, 7 AZR 790/85[5]; BAG, Urteil v. 28.3.1985, 2 AZR 548/83).

[1] Fitting, § 102 Rz. 105.
[2] NZA 1998, 771.
[3] APS/Koch, § 102 Rz. 186; a. A. Fitting, § 102 Rz. 104; DKK/Kittner/Bacher, § 102 Rz. 249.
[4] NZA 1990, 734.
[5] NZA 1988, 737.

10.1.2 Widerspruch des Betriebsrats

 

Rz. 123

Der Betriebsrat muss der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen haben.[1] Der Widerspruch hat schriftlich innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu erfolgen. Es besteht jedoch kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Erhebung des Widerspruchs. Zwar kann der Betriebsrat der Kündigung aus jedem beliebigen Grund widersprechen, ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung besteht aber nur, wenn der Widerspruch auf einen der in § 102 Abs. 3 Nr. 1 – 5 BetrVG genannten Gründe gestützt wird und eine Begründung enthält.

 

Rz. 124

Der Betriebsrat muss hierbei konkrete Tatsachen (keine Gerüchte, Vermutungen oder Andeutungen) anführen, eine reine Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist nicht ausreichend. Andererseits ist der Widerspruch ausreichend begründet, wenn seine Begründung es als nur möglich erscheinen lässt, dass einer der Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 Nr. 1 – 5 BetrVG geltend gemacht wird (LAG München, Urteil v. 16.8.1995, 9 Sa 543/95[2]). Die konkrete Begründung braucht allerdings nicht ohne weiteres einleuchtend zu sein. Es sind an die Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen, wie sich mittelbar aus § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG ergibt, wonach die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht einen "offensichtlich" unbegründeten Widerspruch verlangt. Ausreichend ist eine Begründung, die es als möglich erscheinen lässt, dass mit der gegebenen Begründung ein gesetzlicher Widerspruchstatbestand geltend gemacht wird.[3] Nicht erforderlich ist, dass die vom Betriebsrat angegebenen Tatsachen schlüssig einen Widerspruchsgrund i. S. v. § 102 Abs. 3 BetrVG ergeben; die vom Betriebsrat angeführten Tatsachen müssen zusammen mit anderen Tatsachen aber einen Widerspruchsgrund ergeben können. Sie müssen als Teil der schlüssigen Darlegung eines Widerspruchsgrunds denkbar und geeignet sein, dem Arbeitgeber und ggf. den Gerichten die Nachprüfung zu ermöglichen, ob der vom Betriebsrat angeführte Widerspruchsgrund tatsächlich gegeben ist (LAG Hamburg, Urteil v. 21.5.2008, 4 SaGa 2/08).

[1] Vgl. hierzu Rz. 34 ff.

10.1.3 Klage des Arbeitnehmers

 

Rz. 125

Der Arbeitnehmer muss binnen 3 Wochen nach der Kündigung Klage nach § 4 KSchG mit dem Antrag erhoben haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst...

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