Rz. 1

§ 102 BetrVG enthält entgegen der insoweit missverständlichen Überschrift kein echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, d. h. Kündigungen bedürfen, abgesehen von Kündigungen gegenüber Organmitgliedern (vgl. § 103 BetrVG), nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Dieser ist vor Ausspruch der Kündigung lediglich anzuhören. Ein Mitbestimmungsrecht kann von den Betriebsparteien jedoch gem. § 102 Abs. 6 BetrVG vereinbart werden.

 

Rz. 2

Die Vorschrift dient sowohl dem individualrechtlichen als auch dem kollektivrechtlichen Interessenschutz, d. h. es soll ein Einfluss des Betriebsrats auf die Zusammensetzung der Belegschaft gewährleistet werden (BAG, Urteil v. 27.6.1985, 2 AZR 412/84[1]; BAG, Urteil v. 15.12.1994, 2 AZR 327/94[2]). Durch das in § 102 BetrVG ausgestaltete Beteiligungsverfahren wird dem Betriebsrat vor dem Kündigungsausspruch eine Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers eingeräumt (BAG, Urteil v.13.12.2012, 6 AZR 348/11[3]). Die vom Betriebsrat vorgebrachten Einwendungen sollen den Arbeitgeber ggf. dazu veranlassen, von seinem Kündigungsvorhaben Abstand zu nehmen oder es doch in geänderter Form zu verwirklichen, etwa anstatt einer Beendigungs- "nur" eine Änderungskündigung zu erklären oder dem Arbeitnehmer mit einer Änderungskündigung einen geringeren Eingriff in seinen "Besitzstand" anzutragen (BAG, Urteil v. 25.5.2016, 2 AZR 345/15[4]).

 

Rz. 3

Praktisch bedeutsam ist die Verstärkung des individuellen Kündigungsschutzes des einzelnen Arbeitnehmers. Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Die gleiche Rechtsfolge tritt ein, wenn das Anhörungsverfahren fehlerhaft ist. Nach § 102 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat einer Kündigung widersprechen, was zum einen den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, die Widerspruchsgründe im Kündigungsschutzprozess zu verwerten, zum anderen kann er – bei ordnungsgemäßem Widerspruch des Betriebsrats – gem. § 102 Abs. 5 BetrVG seine vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses verlangen.

[1] NZA 1986, 426.
[2] NZA 1995, 521.
[3] NZA 2013, 669.
[4] NZA 2016, 1140.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge