4.5.1.1.1 Zweck der Sonderzahlung

 

Rz. 44

Eine grundlegende Weichenstellung im Prüfungsraster bildet stets die Frage, ob die Sonderzahlung allein in der Vergangenheit geleistete Dienste entlohnen will (Entgelt im engeren Sinn), oder aber zusätzliche Zwecke verfolgt, wie die Entgeltung von Betriebstreue. Die Rspr. gibt hier keine sicheren Vorgaben. Nicht entscheidend für die Abgrenzung ist die Bezeichnung. Es ist vielmehr der Rechtscharakter der Leistung anhand der zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen zu bestimmen.[1] Eindeutig gegen einen Entgeltcharakter im engeren Sinne und damit gegen eine Kürzung ohne Kürzungsabrede sprechen Rückzahlungs- oder Ausschlussklauseln für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder aber ausdrückliche Kürzungsregeln für nur einzelne Fehlzeiten, nicht aber auch für Streik oder Aussperrung. Ist eine Zahlung demgegenüber ausdrücklich zeitanteilig zu gewähren für den Fall, dass der Arbeitnehmer während des Jahres ausscheidet, spricht dies für einen Entgeltcharakter i. e. S. Anders zu beurteilen ist dies nur, wenn der Anspruch auf anteilige Sonderzahlung im Austrittsjahr bei fristloser Kündigung entfällt, denn die Leistung verfolgt dann zumindest auch den Zweck, den Arbeitnehmer zu einem vertragsgerechten Verhalten zu veranlassen.[2] Ob die Bezeichnung allein als Weihnachtsgeld bereits auf einen zusätzlichen Entlohnungszweck schließen lässt, wird unterschiedlich beurteilt. Richtigerweise dürfte es sich hier – fehlen gegenteilige Hinweise – um Entgelt i. e. S. handeln, denn der bloße Name Weihnachtsgeld bezieht sich allein auf den besonderen Zeitpunkt der Auszahlung.[3]

4.5.1.1.2 Sonderzahlung als Entgelt im engeren Sinne

 

Rz. 45

Bezweckt eine Jahressonderzahlung, allein in der Vergangenheit geleistete Arbeit zu vergüten, stellt sie Entgelt i. e. S. dar: Die Entgeltpflicht entfällt in Höhe des Anteils, der zeitanteilig auf die ausgefallene Arbeitsleistung bezogen ist. Einer besonderen Kürzungsabrede in der Vereinbarung, die der Jahressonderzahlung zugrunde liegt, bedarf es dann nicht. Die Kürzung erfolgt vielmehr aus der Natur der Zahlung: Sie stellt Entgelt dar, das der ausgefallenen Arbeit zugeordnet werden kann und entfällt unabhängig davon, ob es jeden Monat mit dem regulären Gehalt ausgezahlt wird oder am Ende des Jahres zusammengefasst für das ganze Jahr.

 

Rz. 46

In der Rspr. wird diese Unterscheidung nicht in gleicher Deutlichkeit getroffen. Das Schrifttum erkennt sie insbesondere bei der Kürzung einer Sonderzahlung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten. Wird eine Sondervergütung als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung vereinbart, so entsteht für Zeiten, in denen keine Arbeitsleistung erbracht wird und auch kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr besteht (z. B. gem. § 3 Abs. 1 EFZG bei Krankheit), auch kein Anspruch auf die Sondervergütung.[1]

 
Praxis-Beispiel

Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Arbeitnehmerin im gesamten Kalenderjahr aufgrund ihrer Elternzeit keine Arbeitsleistung erbracht hat. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass Elternzeit weit überwiegend von Frauen und nicht von Männern in Anspruch genommen wird, verneint das BAG zu Recht einen Verstoß gegen das geschlechtsspezifische Diskriminierungsverbot.[2]

 

Rz. 47

Für streikbedingte Fehlzeiten kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Das sieht in der Sache wohl auch das BAG so: Ohne von "Entgelt im engeren Sinne" zu reden, erkannte das Gericht eine Kürzung einer "Monatspauschale" an, die einheitlich für alle Lohngruppen anstelle einer prozentualen Tariflohnerhöhung für die ersten 4 Monate der Geltung des neuen TV gezahlt wurde. Obwohl eine ausdrückliche Kürzungsabrede fehlte, stellt es fest, eine Zahlung komme "nur für Zeiten in Betracht …, für die ein Lohnanspruch besteht".[3] Das gilt dann auch für jährliche Zahlungen. Kürzt der Arbeitgeber dementsprechend die Sonderzahlung für Zeiten der Streikteilnahme, dann liegt hierin keine unzulässige Maßnahme nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG und auch keine gesetzlich verbotene Maßregelung, denn die Unterscheidung ist durch die Rechtsordnung selbst vorgegeben. Der Verlust des Lohnanspruchs für die Zeit der Streikbeteiligung oder der Aussperrung ergibt sich daraus, dass der Arbeitskampf die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zum Ruhen bringt. Einer gesonderten Abrede zur Kürzung bedarf es nicht, weswegen es an einer Maßnahme oder Maßregelung durch den Arbeitgeber fehlt, die verboten sein könnte. Er vollzieht durch die Kürzung schlicht die gesetzlichen Vorgaben, was ihm nicht verwehrt werden kann.

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