Verfahrensgang

LG Meiningen (Urteil vom 11.07.2014)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Meiningen vom 11.7.2014 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen können die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird hinsichtlich des Sachverhaltes auf den Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Mit Grundurteil vom 11.7.2014 hat das LG der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dass die Klägerinnen gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. den §§ 611, 276 BGB haben, da der Beklagte als Betreiber der Pflegeeinrichtung "W. E." zwar nicht seine durch die angestellten Pflegekräfte wahrzunehmende Aufsichtspflicht gegenüber der Geschädigten, Frau K. L., jedoch seine Verkehrssicherungspflicht in Hinblick auf die Ausstattung des im Zimmer der Versicherten befindlichen Fensters im 1. Stock verletzt habe.

Entgegen der Ansicht der Kläger habe der Beklagte seine durch die bei ihm angestellten Pflegekräfte wahrzunehmende Aufsichtspflicht gegenüber der Geschädigten nicht dadurch verletzt, dass Frau L. nicht zu dem Toilettengang, der unmittelbar vor dem Fenstersturz stattgefunden habe, begleitet worden sei. Insoweit sei zunächst die Zielrichtung der Unterbringung der Versicherten in der Pflegeeinrichtung zu berücksichtigen, wonach durch Betreuung und heilpädagogische Förderung die Hilfe zur Selbsthilfe sowohl im privaten Bereich als auch bei der Teilnahme am öffentlichen Leben und damit die Eigenständigkeit im lebenspraktischen Bereich und die Sozialkompetenz gefördert werden solle. Dies beinhalte, dass die Heimbewohner unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Behinderungsgrades zur Eigenständigkeit angeleitet werden sollen. Bei dem hier dem Fenstersturz unmittelbar vorausgehenden Toilettengang habe das Personal des Beklagten davon ausgehen dürfen, dass die Versicherte diesen allein und ohne Beaufsichtigung werde durchführen können.

Zu sehen sei aber, dass aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten der Versicherten und deren immer wieder gezeigten Weglauftendenzen eine Verkehrssicherungspflicht dahingehend bestanden habe, das im Zimmer der Versicherten befindliche Fenster so abzusichern, dass es sich nicht vollständig habe öffnen lassen. Ein Heimträger sei grundsätzlich verpflichtet, den Aufenthalt in seiner Einrichtung so zu gestalten, dass jede vermeidbare Gefährdung eines Bewohners ausgeschlossen sei, wozu auch der Schutz der Bewohner vor Selbstgefährdung zu zählen sei, soweit sie erkennbar zu einer vernünftigen Einsicht und zu einem entsprechenden Verhalten nicht in der Lage seien. Aufgrund des zum Unfallzeitpunkt vorliegenden Gutachtens zur Pflegebedürftigkeit der Versicherten sei daher das im Zimmer der Versicherten befindliche Fenster so abzusichern gewesen, dass es nicht vollständig von der Versicherten habe geöffnet werden können. Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich ergeben, dass der Zustand der Versicherten sich im Jahre 2008 gravierend zu deren Nachteil verändert habe. Zwar habe nicht von einer konkreten Suizidgefährdung der Versicherten ausgegangen werden müssen. Es habe sich aber ergeben, dass diese mitunter die Gefährlichkeit ihres eigenen Handelns nicht sicher einzuschätzen vermochte habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt er vor, dass ihn zum Unfallzeitpunkt keine Verkehrssicherungspflicht dahingehend getroffen habe, das im Zimmer der Versicherten befindliche Fenster so abzusichern, dass es nicht von dieser vollständig habe geöffnet werden können. Zu sehen sei, dass sich die Versicherte der Klägerinnen frei im Haus habe bewegen können. Würde man dem LG folgen, so hätten sämtliche Fenster im ersten Stock so abgesichert werden müssen, dass sie sich nicht ohne Weiteres vollständig hätten öffnen lassen. Würde man dem LG weiter folgen, so hätte sich die Versicherte der Klägerinnen nicht unbeaufsichtigt in Räumen aufhalten dürfen, deren Fenster nicht gesondert gesichert gewesen wären. Für diese Annahme sei aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Raum. Die Versicherte habe sich bereits seit mehreren Jahren in der Einrichtung aufgehalten und sich dort entsprechend dem Konzept und dem Leitgedanken der Einrichtung frei bewegen können, ohne dass es jemals zu Problemen gekommen sei. Unstreitig seien weder eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung noch andere freiheitsentziehende Maßnahmen zu irgendeinem Zeitpunkt angeordnet worden. Hierzu habe auch in medizinischer und pflegeri...

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