Leitsatz (amtlich)

1. Auch die Altersrente, die schwerbehinderte Menschen zwischen dem 63. und 65. Lebensjahr beziehen - § 37 SGB VI - wird zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen geleistet und ist deshalb sachlich kongruent i.S.v. § 116 SGB X.

Fortführung von BGH VI ZR 64/85 vom 11.3.1986 = NJW 1986, 2762 = VersR 1986, 812)

2. Dass der Geschädigte die allgemeine vorgezogene Altersrente nach § 36 SGB VI nicht beantragt, sondern weiterhin die Rente gem. § 37 SGB VI bezieht, stellt keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB dar.

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 2, § 842; SGB X § 116; SGB VI §§ 36-37

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 31.07.2008; Aktenzeichen 10 O 976/07)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 18.05.2010; Aktenzeichen VI ZR 142/09)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Erfurt vom 31.7.2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege des Sozialversicherungsregresses die Erstattung einer an den Geschädigten in der Zeit von dessen 63. bis zu dessen 65. Lebensjahr gezahlten Altersrente. Das LG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Der Geschädigte R H ist am 17.8.1943 geboren. Er ist am 13.10.1975 durch einen Verkehrsunfall schwer verletzt worden, an dem Angehörige der Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika beteiligt waren.

Die Berufsgenossenschaft zahlt seit dem Unfallereignis an ihn eine Unfallrente. Im August 2003 wurde er 60 Jahre alt. Seit 1.9.2003 zahlt die Klägerin aufgrund eines Rentenbescheids vom 16.6.2003 (Blatt 92 ff.) an ihn eine Altersrente, die die Beklagte bis August 2006 erstattete. Zu diesem Zeit-punkt vollendete er sein 63. Lebensjahr. Durch eine "Entschließung" (Bescheid) vom 23.4.2007 (Blatt 51 ff.) erstattete die Beklagte an die Berufsgenossenschaft für das Jahr 2006 12.320,64 EUR und an die Klägerin für Januar bis August 2006 386 EUR. Weitere Zahlungen für 2006 lehnte sie ab. Der Bescheid ist der Klägerin am 24.4.2007 zugestellt worden und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach die Klagefrist zwei Monate beträgt.

Die vorliegende Klage ist am 25.6.2007, einem Montag, bei Gericht eingegangen und am 2.7.2007 zugestellt worden. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die Zeit von September bis Dezember 2006 weitere 3.459,68 EUR, die der Höhe nach unstreitig sind. Für die weitere Zeit bis August 2008 begehrt sie Feststellung der Zahlungspflicht. Im August 2008 wurde der Geschädigte 65 Jahre alt.

Die Klägerin hat vorgetragen, bei der streitgegenständlichen Altersrente für die Zeit von September 2006 (63. Lebensjahr) bis August 2008 (65. Lebensjahr) handele es sich um eine sog. "vorgezogene Altersrente wegen unfallbedingter Schwerbehinderung". Diese sei sachlich kongruent im Sinne von § 116 SGB X. Der Geschädigte wäre ohne den Unfall bis zu seinem 65. Lebensjahr berufstätig gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.459,68 EUR nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen der Übergangsfähigkeit nach §§ 1542 RVO, 77 Abs. 2 AVG (heute § 116 SGB X) die Altersrente wegen Schwerbehinderung nebst Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner auch für die Zeit nach dem 31.12.2006 längstens bis zum 31.8.2008 (Vollendung des 65. Lebensjahres) zu erstatten, die diese an den Versicherten R H zu erbringen hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, da sie erst nach Ablauf der zweimonatigen Klagefrist eingegangen sei.

Ihre Erstattungspflicht habe mit Ablauf des Monats August 2006 geendet. Denn seit 1.9.2003 erhalte der Geschädigte eine Altersrente, die nicht sachlich kongruent i.S.v. § 116 SGB X sei. Der BGH habe am 10.11.1981 entschieden, dass die allgemeine Altersrente ab dem 65. Lebensjahr und die vorgezogene ab dem 63. Lebensjahr jeweils keine kongruenten Leistungen seien (BGH, Urt. v. 10.11.1981 - VI ZR 262/79, VersR 1982, 166 ff.). Ob dies auch für die Altersrente ab dem 60. Lebensjahr gelte, habe er damals offen gelassen. Diese Lücke habe er durch eine Entscheidung vom 11.3.1986 (BGH, Urt. v. 11.3.1986 - VI ZR 64/85, NJW 1986, 2762 ff.) geschlossen und eine Kongruenz bejaht. Allerdings habe ihm nur der Zeitraum vom 60. Lebensjahr bis zum 63. Lebensjahr zur Entscheidung vorgelegen, weshalb es für den vorliegenden Fall noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe. Hier gehe es um den Zeitraum vom 63. Lebensjahr bis zum 65. Lebensjahr. Für diesen Zeitraum sei eine Kongruenz zu ve...

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