Entscheidungsstichwort (Thema)

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wegfall des Mehrstufenschemas und der Summierungsrechtsprechung. Entbehrlichkeit der konkreten Verweisung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifischer Leistungsbehinderung ist bei der Feststellung, ob ein Versicherter Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB 6 nF hat, nicht zu prüfen.

 

Orientierungssatz

Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 2000, 1827) hat nach Ansicht des Senats weder das Mehrstufenschema noch die Summierungsrechtsprechung, abgesehen von der Übergangsregelung des § 240 SGB 6, eine dogmatische Grundlage. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist keinem Versicherten mehr zu benennen. Mit der Neufassung wurde auch die enge Verknüpfung zwischen (gesundheitlicher) Leistungsfähigkeit und Berufskompetenz aufgegeben (Entgegen BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R = SozR 4-2600 § 43 Nr 5).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.10.2011; Aktenzeichen B 13 R 78/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1964 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juni 1983 den Beruf eines Instandhaltungsmechanikers. Von 1994 bis zum Jahre 2004 war er als LKW-Fahrer für eine italienische Firma beschäftigt. Am 9. Januar 2004 kam es mit dem LKW in Spanien zu einem Verkehrsunfall, der zur Amputation des linken Unterarms des Klägers führte. Der Kläger bezieht aufgrund dieses Unfalles eine Rente des Unfallversicherungsträgers.

Am 31. August 2004 stellte er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er sehe sich aufgrund des Verlustes seiner linken Hand als erwerbsgemindert. Die Beklagte nahm daraufhin medizinische Ermittlungen auf. Mit Bescheid vom 17. August 2005 lehnte sie den Antrag des Klägers ab. Nach den ärztlichen Feststellungen werde seine Erwerbsfähigkeit durch einen Zustand nach Amputation des linken Unterarms im oberen Drittel mit Prothesenversorgung und einem Zustand nach Herzinfarkt bei koronarer Eingefäßerkrankung, chirurgisch versorgt, beeinträchtigt. Er sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne Schichtbedingungen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne volle Gebrauchsfähigkeit des linken Armes und ohne besondere Anforderung an die nervliche Belastbarkeit auszuüben. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2007 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein internistisches Gutachten des Dr. K. vom 5. November 2007 eingeholt. Dr. K. stellte folgende Diagnosen: (1) Chronischer Nikotinabusus, (1.1) koronarer 1-Gefäßerkrankung mit 75%iger Stenose im Bereich der LAD, Vorderwandmyokardinfarkt am 9. März 2004, Zustand nach PTCA mit Stentimplantation der LAD am 5. März 2004, Zustand nach Vorderwandmyokardinfarkt am 4. März 2004, intermittierender AV-Block III. Grades, Zustand nach Lysetherapie; (1.2) Atherosklerose im Bereich der hirnversorgenden Arterien, Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke 11/2004 mit Hemisymptomatik rechts; (1.3) chronische Bronchitis mit geringgradiger Verminderung des maximal ventilierbaren Volumens; (2) essentielle arterielle Hypertonie, Schweregrad II WHO; (3) Hyperlipidämie; (4) Alkoholabhängigkeit mit regelmäßigem Trinkverhalten (Delta-Typ nach Jellinek); (4.1) fremdanamnestisch beschriebener alkoholentzugsbedingter epileptischer Krampfanfall 1993; (5) Zustand nach traumatischer Amputation des linken Unterarms im Rahmen eines Verkehrsunfalls 01/2004, (5.1) chronisch rezidivierender Phantomschmerz; (6) lokales Lumbalsyndrom; (7) zervikocraniales Syndrom und (8) Tinnitus. Der Kläger sei aus internistischer Sicht in der Lage, an fünf Tagen in der Woche täglich sechs bis acht Stunden Arbeiten mit Einschränkungen zu verrichten. Unter Berücksichtigung der genannten Erkrankungen ergäben sich Arbeitsplatzbesonderheiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Unterarmamputation links sowie mit der geschilderten belastungsabhängig zunehmenden Schmerzsymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule. Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen seien nicht tolerabel. Aufgrund der koronaren Herzerkrankung sowie des arteriellen Hypertonus erschienen Nachtschichten und Überstunden, Tätigkeiten mit besonderer Ver...

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