Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers. Einkommens- bzw Vermögensberücksichtigung. Kontoguthaben auf Girokonto durch Insolvenzgeldzahlung. Haftungsbeschränkung für Minderjährige. kein Pfändungsschutzkonto. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Haftungsbeschränkung für Minderjährige gemäß § 1629a BGB soll lediglich einen Start in die Volljährigkeit mit vom Vertretungsberechtigten veranlassten Schulden vermeiden. Daher ist es auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn ein Kontoguthaben, welches durch Insolvenzgeldzahlung kurz vor Eintritt in die Volljährigkeit entstanden ist, bei der Ermittlung des Vermögens gemäß § 12 SGB 2 berücksichtigt wird, auch wenn es als Einkommen bei einer Zwangsvollstreckung unter Pfändungsschutzvorschriften fallen würde.

2. Kontoguthaben sind nach der Systematik der Zwangsvollstreckungsregelungen nur dann gesondert geschützt, wenn ein Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO) besteht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.06.2023; Aktenzeichen B 7 AS 3/22 R)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 28. November 2019 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang der Haftungsbeschränkung nach § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Der 1998 geborene Kläger bezog mit seinem Vater als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 23. März 2016 setzte der Beklagte die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft für November 2015 endgültig fest und forderte mit weiterem Bescheid desselben Datums vom Kläger die Erstattung von 22,57 €. Hiergegen erhoben der Kläger und sein Vater Widerspruch.

Der Beklagte forderte mit weiteren Bescheiden wegen Überzahlungen in anderen Zeiträumen vom Kläger die Erstattung von 134,62 €, 145,06 € und 17,96 €.

Der Kläger begann am 1. August 2016 eine Ausbildung, bei welcher er Ausbildungsvergütung von 500,00 € brutto (401,87 € netto) monatlich erhielt. Diese wurde bis November 2016 gezahlt. Nachdem über das Vermögen des Ausbildungsbetriebes das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, kündigte der Insolvenzverwalter das Ausbildungsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 zum 31. Januar 2017. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 einmalig Insolvenzgeld für Januar 2017 in Höhe von 451,87 €. Die Auszahlung erfolgte am 15. Dezember 2016 auf das eigene Girokonto des Klägers, bei dem es sich nicht um ein Pfändungsschutzkonto handelt. Der Kläger hob am 15. Dezember 2016 400,00 € von seinem Konto ab, am 30. Dezember 2016 hatte das Konto einen Guthabenstand von 48,78 €. Am 13. Januar 2017 erfolgte die Zahlung der Ausbildungsvergütung für Dezember 2016 durch den Insolvenzverwalter.

Mit Schriftsatz vom 3. April 2017 berief sich der Kläger auf § 1629a BGB, er verfüge über kein Vermögen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2017 zurück. Die Berechnung der Erstattungsforderung sei zutreffend. Inwieweit die Forderung gegenüber dem Kläger durchsetzbar sei, könne derzeit nicht endgültig beantwortet werden, weil die in einem Parallelverfahren angeforderten Nachweise zum Vermögen noch nicht vorgelegt worden seien. Bis zu einer Klärung werde von einer Sollstellung abgesehen.

Der Beklagte hat im Hinblick auf die Beschränkung der Haftung nach § 1629a BGB von der Durchsetzung der Forderungen über 134,62 € sowie über 145,06 € abgesehen.

In dem gegen den Bescheid vom 23. März 2016 über die Forderung von 22,57 € gerichteten Klageverfahren hat der Kläger angegeben, er habe am 30. Dezember 2016 neben dem Kontoguthaben über 12,00 € Bargeld verfügt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. November 2019 abgewiesen. Der Kläger könne sich nicht auf § 1629a BGB berufen. Sein Vermögen von insgesamt 60,78 € habe die noch geltend gemachten Forderungen des Beklagten in Höhe von 40,53 € überschritten. Die Pfändungsfreibeträge für Einkommen seien nicht zu berücksichtigen. Zudem seien die Voraussetzungen der vom Kläger geltend gemachten § 811 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 8 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erfüllt.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Der Kläger ist der Ansicht, bei dem nach § 1629a BGB einzusetzenden Vermögen sei nicht nur nicht pfändbares Vermögen, sondern auch solches aus nicht pfändbarem Einkommen nicht zu berücksichtigen. Ansonsten würde ein am Anfang des Monats geborener Minderjähriger anders behandelt als ein am Ende des Monats Geborener.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 28. November 2019 sowie den Bescheid vom 23. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochten...

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