Leitsatz (amtlich)

keine Zurechnung von Vertreterverschulden nach § 85 II ZPO vor Erteilung der Prozeßvollmacht

 

Normenkette

KSchG § 5; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Suhl (Beschluss vom 19.11.2001; Aktenzeichen 5 Ca 1925/2001)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.11.2001, 5 Ca 1925/2001, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3.184,33 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten im Nebenverfahren nach § 5 KSchG über die nachträgliche Zulassung der am 13.09.2001 erhobenen Änderungsschutzklage, mit der sich der Kläger gegen die – unter Vorbehalt akzeptierte – Änderungskündigung der Beklagten vom 07.08.2001 wehrt, die ihm am gleichen Tage zugegangen ist.

Noch am 07.08.2001 suchte der Kläger beim Rechtssekretär seiner Einzelgewerkschaft W. S. um Rechtsschutz nach und erteilte Klagauftrag. Im ersten Rechtszug war die Behauptung des Klägers unstreitig, dass der DGB Rechtsschutz GmbH Prozessvollmacht erteilt wurde. Der Gewerkschaftssekretär W. S. leitete die Unterlagen nicht an die Rechtsschutz GmbH weiter und stellte dieses Versäumnis erst nach Urlaubsrückkehr am 03.09.2001 fest.

Mit Antrag vom 13.09.2001 hat der Kläger die nachträgliche Zulassung der gleichzeitig erhobenen Änderungsschutzklage verlangt. Auf die zur Glaubhaftmachung vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Gewerkschaftssekretärs S. wird Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Änderungsschutzklage mit Beschluss vom 19.11.2001 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe die Klagefrist nicht schuldhaft versäumt. Eine Verschuldenszurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO scheitere daran, dass der DGB Rechtsschutz GmbH und nicht dem Gewerkschaftssekretär S. Prozessvollmacht erteilt worden sei. Dessen Verschulden im vorprozessualen Bereich müsse sich der Kläger mangels Zurechnungsnorm nicht entgegenhalten lassen.

Die Beklagte hat gegen diesen ihr am 21.11.2001 zugestellten Beschluss am 05.12.2001 sofortige Beschwerde einlegen lassen. Sie bestreitet nunmehr, dass der DGB Rechtsschutz GmbH am 07.08.2001 Prozessvollmacht erteilt worden sei. Jedenfalls sei auch ihr ein dem Kläger zuzurechnender Verschuldensvorwurf zu machen, da sie den Gewerkschaftssekretär bei Aufnahme der Kündigungsangelegenheit als Vertreter eingesetzt habe und Organisationsverschulden vorliege. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II.

1.

Die nach altem Prozessrecht zu beurteilende (§ 26 Nr. 10 EGZPO n. F.) sofortige Beschwerde nach § 5 Abs. 4 KSchG ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Beschluss überzeugt.

a)

Mit Blick auf die Argumentation des Arbeitsgerichts zu § 85 Abs. 2 ZPO kann die Beschwerde im Tatsächlichen nicht einfach behaupten, dem Gewerkschaftssekretär S. und nicht der DGB Rechtsschutz GmbH sei am 07.08.2001 Klagauftrag erteilt worden. Der Kläger hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Gewerkschaftssekretärs glaubhaft gemacht und damit ausreichend bewiesen, dass der DGB Rechtsschutz GmbH Prozessvollmacht erteilt wurde. Diese Originalvollmacht liegt im übrigen der Klageschrift bei.

b)

Im Rechtlichen ist der Beschwerde darin zu folgen, dass § 85 Abs. 2 ZPO im nachträglichen Klagezulassungsverfahren nach § 5 KSchG entsprechend anwendbar ist (ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammer, Beschluss vom 30.11.2000, 7 Ta 19/2000). Das setzt aber voraus, dass dem Prozessbevollmächtigten ein Verschuldensvorwurf zu machen ist. Die Prozessvollmacht wird erteilt durch empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Bevollmächtigten, dem Gericht oder dem Prozessgegner. Hier kommt nur eine Erteilung gegenüber der Rechtsschutz GmbH in Betracht. Ihr ging die Prozessvollmacht vom 07.08.2001 aber frühestens am 03.09.2001 zu. Erst jetzt war Prozessvollmacht erteilt und damit § 85 Absatz 2 ZPO anwendbar. Eine prozessuale Verschuldenszurechnung für Versäumnisse vor Erteilung der (empfangsbedürftigen) Prozessvollmacht kommt nicht in Betracht.

c)

Das Verschulden des Gewerkschaftssekretärs S. muss sich der Kläger nicht zurechnen lassen. Es fehlt an einer Zurechnungsnorm. § 85 Abs. 2 ZPO scheidet aus, weil er nicht Bevollmächtigter war. § 278 BGB ist auf die rechtzeitige Klagerhebung nicht anwendbar (LAG Hamm vom 27.02.1996, LAGE Nr. 86 zu § 5 KSchG; KR-Friedrich, 5. Aufl. 1998, § 5 KSchG Rz 70; APS-Ascheid, 1. Aufl. 2000, § 5 KSchG Rz 27). Eigenes Verschulden des Klägers liegt ebenfalls nicht vor, da er darauf vertrauen durfte, dass die Klagehebung rechtzeitig erfolgt. Er musste nicht mit dem Fehler des Gewerkschaftssekretärs rechnen.

B)

Die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde hat die Beklagte entsprechend § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes folgt dem der Hauptsache. Mit der Änderungskündigung verfolgt die Beklagte die Absenkung des Stundenlohnes um eine Mark. Damit ist nach § 12 Abs. 7 ArbGG der Differenzbetrag für 36 Monate zugrundezulegen.

Gegen...

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