Entscheidungsstichwort (Thema)

Nebentätigkeit während Arbeitsunfähigkeit. Kündigung. Auflösungsantrag. Kirchlicher Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine arbeitsvertraglich erlaube Nebentätigkeit (hier: außerdienstliches Orgelkonzert der Kantorin einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde) ist während ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit nicht per se verboten (im Anschluss an BAG v. 13.11.79, 6 AZR 934/77, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

2. Zu den Voraussetzungen einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit bzw. wegen genesungswidrigen Verhaltens bei Krankheit (im Anschluss an BAG v. 26.08.93, 2 AZR 154/93, BAGE 74,127).

3. Die Glaubwürdigkeit des Erscheinungsbildes einer Kirchengemeinde rechtfertigt die Auflösung eines kirchlichen Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG) auf Antrag des Arbeitgebers nicht deshalb, weil der Kündigungsschutzprozess in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgt (in Abgrenzung zu BVerfG v. 9.2.90, BvR 717/87, EzA Nr. 36 zu § 9 KSchG n.F.).

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Urteil vom 29.11.2007; Aktenzeichen 7 Ca 991/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Erfurt vom 29.11.2007, 7 Ca 991/07, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung, hilfsweise um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers. Weiter verlangt die Klägerin ihre vorläufige Weiterbeschäftigung und ein Zwischenzeugnis.

Seit 01.10.2003 stand die Klägerin (geb. am 09.09.1960, verheiratet, ein Kind) in W. als A-Kantorin im evangelisch-lutherischen Kirchendienst der Beklagten. Ihre Vorbeschäftigungszeiten ab 01.09.1996 sind arbeitsvertraglich anerkannt. Das Vollzeitarbeitsverhältnis (40 Wochenstunden gegen 3.400,00 EUR brutto im Monat) wurde auf Wunsch der Klägerin im Zeitraum 01.09.2006 bis 21.08.2007 befristet auf Teilzeit mit wöchentlich 20 Stunden umgestellt. Die Klägerin lebt mit ihrer Familie im bayerischen L.. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Der Klägerin oblag der Kirchenmusikdienst an der P. Kirche in W. „H.-kirche”). Dazu gehörten das Orgelspiel zu Gottesdiensten und die musikalische Ausgestaltung der Gottesdienste mit dem W.er Chor, den sie zu leiten hatte.

Ab 18.12.2006 wurde die Klägerin vom Facharzt für Allgemeinmedizin G. aus dem bayerischen A. krankgeschrieben. Die Beklagte bezweifelte die Arbeitsunfähigkeit und beantragte bei der Krankenkasse eine Überprüfung. Mit Schreiben vom 19.12.2006 (Bl. 226/227 d. A.) teilte der beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern nach Rücksprache beim behandelnden Arzt G. der Krankenkasse mit, dass die Zweifel des Arbeitgebers komplett ausgeräumt seien. Wegen reaktiver depressiver Episode, akuter Belastungsreaktion, Hashimoto-Thyreoditis (= Schilddrüsenentzündung), Hypothyreose (= Schilddrüsenunterfunktion) und Burn-Out-Syndrom sei die Klägerin ab 18.12.2006 arbeitsunfähig.

Am Morgen des 22.04.2007 (Sonntag) fand in der H.-kirche ein Ordinationsgottesdienst des Absolventenjahrganges der Thüringer Landeskirche statt, den die Klägerin mit dem Chor hatte begleiten sollen. Sie meldete sich unter Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihres Arztes G. vom 30.03.2007 ab 30.03.2007 bis voraussichtlich 22.04.2007 krank. Im Ordinationsgottesdienst wurde sie krankheitsbedingt vertreten. Abends um 19.00 Uhr gab die Klägerin am 22.04.2007 in der Kirche St. M. im bayerischen M. gegen Honorar ein Orgelkonzert. Die Beklagte wusste davon nichts. Mit Folgebescheinigung vom 23.04.2007 des Arztes G. wurde die Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 11.05.2007 verlängert.

Zufällig erfuhr die Beklagte am 24.04.2007 vom M.-er Orgelkonzert. Mit Schreiben vom 27.04.2007, auf das Bezug genommen wird (Bl. 46/47 d. A.), wurde die Mitarbeitervertretung (MAV) über die beabsichtigte außerordentlich fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung unterrichtet. Die MAV stimmte mit Schreiben vom 02.05.2007 zu. Mit Schreiben vom 02.05.2007 erklärte die Beklagte daraufhin die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin. Die Kündigungsfrist beträgt fünf Monate zum Quartalsende. Als Kündigungsgrund ist angegeben, die Klägerin habe am 22.04.2007 trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit in M. ein Orgelkonzert gegeben.

Gegen die am 04.05.2007 zugegangene Kündigung hat die Klägerin am 24.05.2007 Kündigungsschutzklage eingereicht und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung sowie ein Zwischenzeugnis verlangt. Die Beklagte beantrage mit Schriftsatz vom 02.10.2007, das Arbeitsverhältnis gegen ermessensgerechte Abfindung aufzulösen, wenn die Kündigung unwirksam sein sollte. Gestritten haben die Parteien u. a. darüber, ob di...

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