Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung des Widerspruchsrechts bei Disposition über das Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin im Wege von Feststellungsklagen zur Weitergeltung der Tarifdynamik

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelung des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB, wonach der Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Unterrichtung erfolgen kann, schließt eine Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeübt werden kann.

2. Das Zeitmoment der Verwirkung gemäß § 242 BGB ist auf jeden Fall erfüllt, wenn zwischen fehlerhafter Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 und Widerspruch des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 6 BGB ein Zeitraum von vier Jahren und fast drei Monaten vergangen ist.

3. Das Umstandsmoment kann dadurch verwirklicht werden, dass sich der Arbeitnehmer beim Streit über die Weitergeltung der Tarifdynamik ausschließlich an die Betriebserwerberin wendet und dabei weder dieser noch der Betriebsveräußerin gegenüber auch nur andeutet, dass im Wege des noch möglichen Widerspruchs die frühere Arbeitgeberin Gegnerin seiner Ansprüche auf Tariferhöhungen werden könnte.

4. Legt der Arbeitnehmer dar, dass er auch die frühere Arbeitgeberin auf Anwendung der Tarifverträge in Anspruch genommen hat, ist dieser Einwand unerheblich, wenn diese Inanspruchnahme zeitgleich mit dem Widerspruch und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem die Verwirkung des Widerspruchsrechts bereits eingetreten war.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 5, 6 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Gera (Entscheidung vom 18.09.2012; Aktenzeichen 2 Ca 216/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.12.2014; Aktenzeichen 8 AZR 943/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 18. September 2012 - 2 Ca 216/12 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen, soweit über den Antrag auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 01. September 2007 hinaus entschieden wurde.

Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 01. September 2007 hinaus, über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger ab 01. Juli 2012 ein Arbeitsvertragsangebot zu unterbreiten, über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses ab 01. Juli 2012 sowie über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger ein Änderungs- bzw. Aufhebungsvertragsangebot nach dem Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) zu unterbreiten.

Der am 30. Juli 1961 geborene Kläger war seit 01. Oktober 1992 bei der Beklagten, zuletzt in der Kundenniederlassung Spezial in G...., beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 30. Oktober 1992 (Bl. 10 d. A.) vereinbarten die Parteien die Anwendung der für die Beklagte geltenden Tarifverträge.

Die V...... C....... S........ GmbH (fortan: VCS GmbH), ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der Beklagten, informierte den Kläger mit Schreiben vom 26. Juli 2007 (Bl. 11 ff. d. A.) über den bevorstehenden Betriebsübergang von der Beklagten auf die VCS GmbH. Die VCS GmbH übernahm den Betrieb der Beklagten zum 01. September 2007. Der Kläger setzte seine Tätigkeit nunmehr für die VCS GmbH fort.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2008 (Bl. 29 ff. d. A.) informierten die VCS GmbH und die T........ S........ C........ G....... GmbH (fortan: T......... GmbH) den Kläger über einen weiteren geplanten Betriebsübergang von der VCS GmbH auf die T........... GmbH. Der Betriebsübergang wurde zum 01. Dezember 2008 vollzogen. Der Kläger war fortan für die T...... GmbH tätig.

Die T..... GmbH wandte sich Ende 2009 an ihre Mitarbeiter unter Hinweis darauf, eine Schließung des Betriebes müsse in Betracht gezogen werden, wenn kein wirtschaftlicheres Arbeiten zu erreichen sei. Sanierungsbeitrag in diesem Sinne könne auch sein, Arbeitsverträge mit schlechteren Arbeitsbedingungen abzuschließen. Der Kläger lehnte das hierzu von der T....... GmbH unterbreitete Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ab.

Der Widerspruch gegen den Betriebsübergang von der Beklagten auf die VCS GmbH und damit das auch dem Kläger in diesem Zusammenhang zugegangene Unterrichtungsschreiben vom 26. Juli 2007 war Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Das Bundesarbeitsgericht entschied am 26. Mai 2011 (8 AZR 18/10), das Unterrichtungsschreiben sei, jedenfalls im Bezug auf die Unterrichtung zum Haftungssystem des § 613 a BGB, rechtsfehlerhaft und daher die Widerspruchsfrist des §

613 a Abs. 6 S. 1 BGB nicht in Lauf gesetzt worden, weswegen die Mitarbeiter dem Betriebsübergang auf die VCS GmbH in den Grenzen der Verwirkung noch widersprechen könnten.

Der Kläger widersprach am 03. März 2010 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der VCS GmbH auf die Teldas GmbH. Er erhob mit Schriftsatz vom 08. April 2010 Klage vor dem Arbeitsgericht Bonn ge...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge