Das Wichtigste in Kürze:

1. Anfechtungsberechtigt ist vor allem der Jugendliche/Heranwachsende, aber auch der gesetzliche Vertreter bzw. Erziehungsberechtigte.
2. Nicht anfechtungsberechtigt ist z.B. die Jugendgerichtshilfe (JGH).
3. Der Jugendliche ist unabhängig von seiner Verantwortungsreife gem. § 3 S. 2 JGG und seiner zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit zur selbstständigen Einlegung von Rechtsmitteln befugt, wenn er verhandlungsfähig ist.
4. Legt ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter des Angeklagten Rechtsmittel ein und ist über das Rechtsmittel bei Eintritt der Volljährigkeit noch nicht entschieden, so kann der Angeklagte das Rechtsmittel auch dann weiter betreiben, wenn er vorher auf Rechtsmittel verzichtet hatte.
 

Rdn 652

 

Literaturhinweise:

d'Alquen/Daxhammer/Kudlich, Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichtes eines jugendlichen Angeklagten unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung? StV 2006, 220

s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.

 

Rdn 653

1. Anfechtungsberechtigt sind

der Jugendliche/Heranwachsende (unabhängig von seinem Alter, soweit er nach allgemeinem Strafrecht verhandlungsfähig ist),
der gesetzliche Vertreter (§ 2 JGG, § 298) oder Erziehungsberechtigte (§ 67 Abs. 3 JGG) bis zum Eintritt der Volljährigkeit (auch gegen den Willen des Jugendlichen, allerdings nur zu seinen Gunsten; Ostendorf, § 55 Rn 4),
der Verteidiger (§ 2 JGG, § 297); jedoch nicht gegen den Willen des Jugendlichen, auch nicht, wenn er durch den Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreter beauftragt wurde (Eisenberg, § 55 Rn 6; a.A. Brunner/Dölling, § 55 Rn 2a; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 14). Haben Verteidiger und Angeklagter beide wirksam verschiedene Rechtsmittel eingelegt, so gilt grds. das bei Gericht zuerst eingegangene; bei zeitgleicher Einlegung hat das weiter gehende den Vorrang, also die Berufung gegenüber der Revision (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 14; Eisenberg, § 55 Rn 6; Brunner/Dölling, § 55 Rn 2a),
die StA (§ 2 JGG, § 296), auch zugunsten des Jugendlichen.
 

Rdn 654

2. Nicht anfechtungsberechtigt sind:

der Beistand gem. § 69 JGG (Eisenberg, § 55 Rn 8, § 69 Rn 8),
der Vertreter der Jugendgerichtshilfe (JGH) (Eisenberg, § 55 Rn 8, § 38 Rn 31),
der Erziehungsbeistand (§ 12 Nr. 1 JGG, § 30 SGB VIII; Eisenberg, § 55 Rn 8; a.A.Ostendorf, § 55 Rn 4),
die für die Hilfe zur Erziehung gem. § 12 Nr. 2 JGG zuständige Behörde (Eisenberg, § 55 Rn 8; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 15; a.A.Ostendorf, § 55 Rn 4).
der Betreuungshelfer (§ 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 JGG, § 30 SGB VIII) (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 15),
der Bewährungshelfer (OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 300).
 

Rdn 655

3. Der Jugendliche ist unabhängig von seiner Verantwortungsreife gem. § 3 S. 2 JGG und seiner zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit und ohne Bindung an Maßnahmen seiner gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten zur selbstständigen Einlegung von Rechtsmitteln, aber auch zum Rechtsmittelverzicht, befugt, wenn er verhandlungsfähig ist (HK-JGG/Laue, § 55 Rn 12; Eisenberg, § 55 Rn 5; Ostendorf, § 55 Rn 3; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 12). Die Verhandlungsfähigkeit setzt einen genügenden Grad an Reife und Einsichtsfähigkeit sowie die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung voraus; je nach anstehender Prozesshandlung kann sie fehlen oder gegeben sein. Die Verhandlungsfähigkeit für einen Rechtsmittelverzicht (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelverzicht/-rücknahme, Teil A Rdn 857 ff.) kann bei jugendlichen Verurteilten aufgrund des Eindrucks der HV und der Urteilsverkündung fehlen (d'Alquen/Daxhammer/Kudlich StV 2006, 220). Bei fehlender Verhandlungsfähigkeit sind etwaige Prozesshandlungen – sofern sie nicht ausschließlich begünstigend sind und den Eintritt der Rechtskraft einer Verurteilung hemmen (BayObLG NStZ 1989, 131) – von vornherein unwirksam.

 

☆ Bei einem von dem Jugendlichen eingelegten Rechtsmittel ist grds . von seiner Verhandlungsfähigkeit auszugehen, sofern nicht gravierende Auffälligkeiten vorhanden sind.grds. von seiner Verhandlungsfähigkeit auszugehen, sofern nicht gravierende Auffälligkeiten vorhanden sind.

Bei einem Rechtsmittelverzicht ist die Verhandlungsfähigkeit des Jugendlichen immer sorgfältig zu untersuchen. Ggf. ist der Rechtsmittelverzicht unwirksam.

 

Rdn 656

4. Legt ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter des Angeklagten Rechtsmittel ein und ist über das Rechtsmittel bei Eintritt der Volljährigkeit noch nicht entschieden, so kann der Angeklagte das Rechtsmittel auch dann weiter betreiben, wenn er vorher auf Rechtsmittel verzichtet hatte (BGHSt 10, 174). Wenn ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat und die Begründung noch aussteht, ist der Angeklagte ab Eintritt der Volljährigkeit für die Revisionsbegründung selbst verantwortlich (HK-JGG/Laue, § 55 Rn 14; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 12; Eisenberg, § 55 Rn 5; a.A. Ostendorf, § 55 Rn 4 "formalistisch").

 

☆ Wird der Mandant im Laufe des Rechtsmittelverfahrens volljährig, muss der Verteidige...

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