Das Wichtigste in Kürze:

1. Das Verschlechterungsverbot (§ 331) untersagt dem Berufungsgericht die Abänderung der vom Erstgericht verhängten Rechtsfolgen nach Art und Höhe, wenn ausschließlich über eine zugunsten des Angeklagten eingelegte oder wirkende Berufung zu entscheiden ist.
2. § 331 findet nur auf Urteile des AG Anwendung. Es greift nur ein, wenn eine Berufung ausschließlich zugunsten des Angeklagten eingelegt wurde.
3. Das Verbot der reformatio in peius schützt den Schuldspruch nicht, es betrifft nur den Rechtsfolgenausspruch.
4. Für das Verschlechterungsverbot bei wechselseitigen Rechtsmitteln gilt, dass sich für den berufungsführenden Angeklagten eine durchaus nachteilige Situation ergeben kann.
 

Rdn 291

 

Literaturhinweise:

Bringewat, Anm. zu OLG Düsseldorf wistra 2001, 37, JR 2001, 478

Cierniak, Verschlechterungsverbot bei einer unbeschränkten Berufung des Angeklagten und einem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft?, NStZ 2001, 399

Drees, Gilt das Verbot der Schlechterstellung auch dann, wenn das Rechtsmittelgericht das Verfahren wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses einstellt?, StV 1995, 669

Meyer-Goßner, Anm. zu OLG München NJW 2008, 1331, NJW 2008, 1332

ders., Sachliche Unzuständigkeit und Verschlechterungsverbot in: Hassemer/Kempf/Moccia, In dubio pro libertate. Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag, München 2009, S. 455 f.

ders., Über das Zusammentreffen verschiedener Rechtsmittel in: Dölling/Erb, Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag am 16.10.2002, 2002, S. 650 ff.

Mosbacher, Aktuelles Strafprozessrecht, JuS 2009, 124

Peglau, Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, das Rechtsmittelverfahren und das Verschlechterungsverbot, NJW 2004, 3599.

 

Rdn 292

1. Das Verschlechterungsverbot (§ 331; im Folgenden kurz: VerschlVerb) untersagt dem Berufungsgericht die Abänderung der vom Erstgericht verhängten Rechtsfolgen nach Art und Höhe, wenn ausschließlich über eine zugunsten des Angeklagten eingelegte oder wirkende Berufung zu entscheiden ist. Es kann heute, wiewohl bereits Mitte der 30er Jahre des vorigen Jahnhunderts eingeführt, insoweit als Ausprägung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK) angesehen werden, als es Befürchtungen eines Verurteilten, seine Rechtsposition durch Einlegung des Rechtsmittels zu verschlimmern, von vornherein den Boden entzieht und mittelbar dadurch seine Verteidigungsrechte gewährleistet. Nach h.M. folgt das VerschlVerb nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern stellt nur eine kodifizierte Rechtswohltat dar. Gleichlautend findet es sich den Vorschriften über die Revision (§ 358 Abs. 2) und über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 373 Abs. 2). Es gilt auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nach OWiG (OLG Oldenburg NStZ 1997, 397).

 

Rdn 293

2.a) § 331 findet nur auf Urteile des AG Anwendung; zur Anwendbarkeit auf Beschwerden gegen Beschlüsse des AG → Beschwerde, Verschlechterungsverbot, Teil B Rdn 597 ff. Da nur der nicht angefochtene Strafbefehl die Wirkung eines Urteils entfaltet (§ 410 Abs. 3), findet das VerschlVerb auf das Verfahren nach Einspruchseinlegung grds. keine Anwendung (§ 411 Abs. 4); eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn der Einspruch auf die Tagessatzhöhe beschränkt wurde (§ 411 Abs. 1 S. 3).

 

Rdn 294

b) Das VerschlVerb ist nur zu berücksichtigen, wenn lediglich der Angeklagte, sein gesetzlicher Vertreter oder die StA zu seinen Gunsten (§ 296 Abs. 2) Berufung eingelegt hat. Bei wechselseitigen unbeschränkten Berufungen greift das VerschlVerb nach Verwerfung der staatsanwaltschaftlichen Berufung (BayObLG NStZ 2004, 22; OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.1.2009 – 1 Ss 74/08; 1 Ws 203/08) ebenso wie im Fall der Abänderung des Ersturteils nach § 301 (BayObLG, Beschl. v. 20.1.2000 – 5St RR 295/99).

 

Rdn 295

3. Das Verbot der reformatio in peius des § 331 Abs. 1 schützt den Schuldspruch nicht, es betrifft nur den Rechtsfolgenausspruch.

 

Rdn 296

a) Deshalb kann eine allein vom Angeklagten unbeschränkt eingelegte Berufung nach h.M. (Meyer-Goßner/Schmitt, § 331 Rn 8 m.w.N.) im Bereich des Schuldspruchs zu folgenden Änderungen zum Nachteil des Angeklagten führen:

Verbrechen anstelle eines Vergehens,
Vergehen anstelle einer Ordnungswidrigkeit,
Vorsatzdelikt anstelle einer Fahrlässigkeitstat,
Qualifiziertes Delikt anstelle des Grunddelikts,
Vollendete Tat anstelle eines Versuchs,
Tätigkeitsdelikt anstelle einer Unterlassungstat,
besonders schwerer Fall anstelle eines Normalfalls,
uneingeschränkte anstelle verminderter Schuldfähigkeit,
Hinzunahme einer weiteren idealkonkurrierenden Tat,
Annahme einer Handlungseinheit mit der Folge der Aufhebung eines erstinstanzlichen Teilfreispruchs.
 

Rdn 297

Einwände gegen die von der h.M. erklärte "Vogelfreiheit" des Schuldspruchs lassen sich mit beachtlichen Erwägungen vorbringen. Auch der BGH sieht häufig von der Verschärfung ab, weil der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende unzutreffende Schuldspruch den Angeklagten n...

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