Unter dem Eindruck der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH (Überseering, EuGH vom 05.11.2002, C-208/00, IStR 2002, 809, u. a., s. Teil B Gesellschaftsrecht) nutzten zahlreiche Unternehmen die schnelle und mit nur nominellem Grundkapital im Company House in Bristol eintragungsfähige Möglichkeit der Gründung einer private limited company ("Limited") nach englischem Recht. Denn die deutschen Registergerichte waren aufgrund der Niederlassungsfreiheit verpflichtet, diese Gesellschaften als Kapitalgesellschaft entsprechend dem Gesellschaftsrecht ihres Gründungs- und Wegzugsstaates (Großbritannien) anzuerkennen und ohne Beachtung der Kapitalaufbringungsvorschriften, die das deutsche Gesellschaftsrecht für vergleichbare deutsche Rechtsformen vorsieht, in das deutsche Handelsregister (des Zuzugstaates) einzutragen.

Die Niederlassungsfreiheit verlor ihre Schutzwirkung für derartige Gesellschaften mit dem Brexit (bzw. dem Auslaufen des vereinbarten Übergangszeitraums). Ob gesellschaftsrechtlich eine Art Bestandsschutz in den Fällen greifen kann, in denen die Gründung eindeutig während der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU und im EWR stattfand, ist ungeklärt.

Grundsätzlich richtet sich das Gesellschaftsstatut in Deutschland nach dem Verwaltungssitz einer Gesellschaft, weshalb generell damit zu rechnen ist, dass die genannten Limiteds nach dem Brexit bzw. dem Ablauf des Übergangszeitraums von Deutschland zumindest gesellschaftsrechtlich nicht mehr als Kapitalgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit anerkannt werden müssen. Für Einzelheiten wird auf den gesellschaftsrechtlichen Teil verwiesen.

Ertragsteuerlich richtet sich die Qualifikation eines nach ausländischem Recht gegründeten Rechtsgebildes nach dem anhand der maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Merkmale im Gründungsstaat vorzunehmenden sog. Rechtstypenvergleich. Die Sitztheorie des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts spielt dabei in der steuerlichen Praxis bislang keine Rolle. Nach der 2006 durch das SEStEG (BGBl I 2006, 2782) erfolgten Öffnung des vorherigen "Numerus Clausus" der Gesellschaftsformen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG auf weitere, vergleichbare Gesellschaftsformen durch den Einschub "insbesondere" können auch ausländische Rechtsgebilde als Kapitalgesellschaften i. S. d. Bestimmung qualifizieren, für die nach § 8 Abs. 2 KStG in diesem Fall sogar die umfassende Fiktion der Erzielung gewerblicher Einkünfte greift. Allein der juristische Akt des EU-/EWR Austritts Großbritanniens, ohne hinzutretende steuerliche Disposition, kann daher für sich genommen nach herrschender Auffassung ungeachtet der Behandlung nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht ertragsteuerlich nicht zu einer "passiven" Entstrickung der im Inland gebildeten stillen Reserven, und schon gar nicht zu einer Liquidationsbesteuerung nach § 12 Abs. 3 (i. d. F. vor KöMoG) i. V. m. § 11 KStG, führen (zutreffend z. B. Böttcher/Ferstl, NWB Nr. 9 vom 02.02.19, 552, 553; Geyer/Ullmann, DStR 2019, 305, 309 ff., die sich insoweit zusätzlich auch auf das Diskriminierungsverbot des Art. 25 DBA-UK beziehen). Gleiches muss u. E. ebenso für den vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbaren Ablauf der vereinbarten Übergangsfrist gelten.

Dies sieht im Ergebnis nun auch der durch das Brexit-StBG hinzugefügte Satz 4 des § 12 Abs. 3 KStG i. d. F. vor KöMoG explizit vor, sodass eine Körperschaft nicht allein wegen des Brexits als aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem Mitgliedstaat der EU ausgeschieden gilt oder als außerhalb der EU ansässig anzusehen ist. Auch diese gesetzliche Formulierung ist u. E. im Sinne von § 1 Brexit-ÜG auf den Ablauf des Übergangszeitraums zu erstrecken, der bei einer teleologischen Auslegung an die Stelle des Brexits tritt.

Bereits aus dem bisherigen Wortlaut ergab sich, dass die Rechtsfolge der Liquidationsbesteuerung eine Disposition des Steuerpflichtigen, nämlich eine Verlegung des Sitzes oder der Geschäftsleitung, voraussetzt. Dadurch, dass der neu eingefügte Satz nur auf die EU und nicht auf den EWR Bezug nimmt, ist die Neuregelung zwar "unvollständig", jedoch hat dies praktisch keine Relevanz, da das VK absehbar nicht dem EWR beitreten wird.

Besteht nach dem zuvor Ausgeführten kein Anlass für die Fiktion eines "steuerlichen Rechtsformwechsels", so besteht auch deshalb kein Anlass für eine fiktive Entstrickungsbesteuerung, da die Limited aufgrund der angenommenen Geschäftsleitung im Inland sowohl nach nationalem Recht (§ 10 AO) wie auch nach der Tie-Breaker-Regelung in Art. 4 Abs. 3 DBA-UK im Verhältnis zu Großbritannien als (ausschließlich) im Inland unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden sollte (vgl. dazu auch Geyer/Ullmann, DStR 2019, 305, 306 ff.). Für Deutschland als Anwenderstaat des DBA-UK sollte dies selbst dann gelten, wenn ausnahmsweise nur die geschäftliche Oberleitung i. S. v. § 10 AO in Deutschland läge, Großbritannien als anderer Anwenderstaat des DBA-UK jedoch aufgrund einer abweichenden Auslegung die Geschäftsleitung ...

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