Seit diesem Zeitpunkt findet auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht keine Anwendung mehr. Dies betrifft v. a. die verschiedenen Richtlinien und Verordnungen, die zu gesellschaftsrechtlichen Themen auf EU-Ebene erlassen wurden. Dazu gehören u. a. die bereits zitierte SE-VO, die erst Ende 2019 um die grenzüberschreitende Umwandlung und Spaltung ergänzte Gesellschaftsrichtlinie (RL (EU) 2017/1132) sowie die Aktionärsrichtlinie (RL 2007/36/EG).

Verordnungen zeichnen sich nach Art. 288 Abs. 2 AEUV dadurch aus, dass sie unmittelbar gültig und in allen EU-Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich sind, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf, während Richtlinien die Mitgliedstaaten nach Art. 288 Abs. 3 AEUV nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels binden, ihnen aber bei der Umsetzung in nationales Recht die Wahl der Mittel selbst überlassen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass das britische Parlament im Juni 2018 mit dem "European Union (Withdrawal) Act 2018", angepasst durch den "European Union (Withdrawal) Act 2020", u. a. das Unionsrecht, das am Tag des Ablaufs des Übergangszeitraums gilt bzw. galt, als nationales Recht in das eigene Rechtssystem überführt hat (Art. 2). Dies gilt ausdrücklich auch für Entscheidungen des EuGH, die bis zum Ablauf des Übergangszeitraums ergangen sind (Art. 3 Abs. 2.a i. V. m. Art. 6 Abs. 1.a). Allerdings erhielt die britische Regierung auf Basis des Gesetzes weitreichende Befugnisse, das eingeführte Unionsrecht ohne zwingende weitere Befassung des Parlaments zu ändern (Art. 8).

Dieses Gesetz darf deshalb nicht missverstanden werden in der Weise, dass das sekundäre Gemeinschaftsrecht nach dem Ablauf des Übergangszeitraums auch im Verhältnis zum VK weiter Gültigkeit hat. Zumindest bindet das EU-Recht das VK seit dem Ablauf des Übergangszeitraums nicht mehr. Die Überführung des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht dürfte eher den Hintergrund gehabt haben, mögliche eigene Gesetzeslücken zu schließen, die entstanden wären, wenn das Gemeinschaftsrecht "von heute auf morgen" weggefallen wäre. Der britische Gesetzgeber hat mit dem "European Union (Withdrawal) Act 2018" ganz eindeutig den Bezug zur EU gekappt, indem er das Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften aus dem Jahr 1972 (European Communities Act 1972), welches seinerzeit die Voraussetzung für den Beitritt zur den Europäischen Gemeinschaften geschaffen hatte, ausdrücklich aufgehoben hat (Art. 1), wenn auch relativiert durch die Änderungen durch das "European Union (Withdrawal) Act 2020".

Das Handels- und Kooperationsabkommen vom 24.12.2020 regelt ausdrücklich, dass "die Auslegung dieses Abkommens oder etwaiger Zusatzabkommen durch die Gerichte der Vertragsparteien für die Gerichte der anderen Vertragspartei nicht bindend ist" (Art. Comprov.13 Abs. (3) in Teil EINS, Titel II). Da Vertragsparteien des Abkommens das VK und die EU (nicht die einzelnen Mitgliedstaaten) sind, heißt das auch, dass die Entscheidungen des EuGH für die Behörden und Gerichte des VK nicht mehr bindend sind (Kerstges, AnwBl Online 2021, 116).

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