Aufgrund der besonderen Tragweite der erweiterten Beschlusskompetenz zur Abänderung gesetzlicher bzw. vereinbarter Regelungen hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit besonderer Rechtmäßigkeitsschranken gesehen.[1]

[1] Gottschalg, NZM 2007 S. 194.

4.4.5.1 Grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage

Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage wird nicht bereits durch eine Änderung des optischen Erscheinungsbilds des Objekts bewirkt, sie ist erst dann anzunehmen, wenn eine Änderung der Nutzungsart vorgenommen wird.

Durch den Anbau von Balkonen oder Aufzügen wird zwar der optische Gesamteindruck erheblich verändert.[1] Dennoch bleibt auch hiernach der Charakter des Objekts, z. B. als Wohnhaus, unverändert.[2]

 
Hinweis

Erhebliche optische Veränderung

Nur wenn eine erhebliche optische Veränderung der Wohnanlage weder als modernisierende Erhaltung/Instandsetzung noch als Maßnahme der Modernisierung einzuordnen ist, bedarf sie zu ihrer Recht- und Ordnungsmäßigkeit der Zustimmung aller Eigentümer gem. § 20 WEG.[3]

Im Fall einer tiefgreifenden Umgestaltung des optischen Gesamteindrucks kann sich der einzelne Eigentümer bei einem "Geschmacksdiktat" der Mehrheit eventuell erfolgreich auf einen Verstoß gegen die Veränderungssperre des § 20 Abs. 4 WEG berufen. Bezugspunkt ist hier aber die WE-Anlage als Ganzes, d. h. die Hürde ist sehr hoch. Der Begriff der "grundlegenden Umgestaltung" soll enger sein als der frühere Begriff der "Eigenart der Wohnanlage". Bloße architektonische Disharmonien genügen nicht mehr.[4]

[1] LG Lüneburg, Urteil v. 31.5.2011, 9 S 75/10, ZMR 2011 S. 831; AG Konstanz, Urteil v. 13.3.2008, 12 C 17/07, ZMR 2008 S. 494.
[2] AG Hannover, Urteil v. 26.10.2010, 483 C 3145/10, ZMR 2011 S. 334.
[4] Dötsch in Bärmann, WEG, 15. Aufl. 2023 § 20 Rn. 356 ff., 363.

4.4.5.2 Unbillige Benachteiligung von Wohnungseigentümern

Die Bestimmung des § 20 Abs. 4 WEG will verhindern, dass dem betroffenen Wohnungseigentümer "Nachteile" zugemutet werden, die bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der baulichen Veränderung verfolgten "Vorteilen" einem verständigen Wohnungseigentümer nicht abverlangt werden dürfen.

Beim Anbau von (großen/tiefen) Balkonen kann die erhebliche Verschattung einer Wohnung eine unbillige Benachteiligung darstellen.[1]

Andererseits soll die bloße Verbreiterung vorhandener Balkone störungsfrei möglich sein.[2] Es darf jedenfalls nicht zu einem treuwidrigen "Sonderopfer" einzelner Eigentümer kommen.

Die Art und Weise der durch die Vornahme einer Modernisierungsmaßnahme entstehenden Nachteile ist vielfältig:

  • Eingriffe in Statik und Substanz des Gebäudes,
  • Hervorrufen lästiger Immissionen,
  • Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbilds,
  • Beeinträchtigung des Mitgebrauchs am Gemeinschaftseigentum,
  • erhöhte Wartungs- und Reparaturanfälligkeit,
  • Bevorzugung einzelner Wohnungseigentümer,
  • Belastung durch Kostentragung für die Maßnahme.

Insbesondere Maßnahmen zur Einsparung von Wasser und Energie gehen oftmals mit der Installation alternativer Versorgungssysteme einher, die erhebliche Kosten verursachen. Im Bereich des Mietrechts entspricht es inzwischen herrschender Meinung, dass der Mieter mit dem Einwand fehlender Amortisation bzw. fehlender Wirtschaftlichkeit der Modernisierungsmaßnahme regelmäßig kein Gehör findet, da die Einsparung von Energie einer politisch-ökologischen Zielsetzung folgt, die der Allgemeinheit zugute kommen soll und sich daher eine Bewertung rein nach finanziellen Aspekten verbietet.[3]

Die Opfergrenze aber erst bei einer drohenden Veräußerung des Wohnungseigentums zu ziehen, dürfte jedenfalls gegen die von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Eigentumsfreiheit verstoßen.

[1] AG Hamburg, Urteil v. 15.3.2022, 9 C 277/21, ZMR 2022 S. 660 zum Abbruch eines Schornsteins; Dötsch in Bärmann, WEG, 15. Aufl. 2023 § 20 Rn. 370; AG Konstanz, Urteil v. 25.10.2007, 12 C 10/07, MietRB 2008 S. 148.
[2] AG Hamburg-Altona, Urteil v. 10.7.2013, 303b C 30/12, ZMR 2014 S. 57.
[3] BGH, Urteil v. 3.3.2004, VIII ZR 149/03, WuM 2004 S. 285 = NZM 2004 S. 252 = MietRB 2004 S. 134.

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