1 Leitsatz

Beeinträchtigen oder erschweren Wohnungseigentümer oder Dritte den Zugang zum Sondereigentum durch Hindernisse im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums, sind Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend zu machen.

Ein Beschluss der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, der im Widerspruch zu bauordnungsrechtlichen Vorschriften eine Duldung des regelmäßigen Haltens von Lieferfahrzeugen in der auf dem Grundstück der Wohnungseigentümer befindlichen Feuerwehrzufahrt zusagt, ist nichtig.

2 Normenkette

§§ 9a, 23 Abs. 4 Satz 1 WEG; § 5 Abs. 2 HBO

3 Das Problem

Teileigentümer T vermietet sein Sondereigentum an B. Der betreibt dort einen Supermarkt. Wegen der Lieferfahrzeuge gibt es immer wieder Ärger. Diese versperren die Durchfahrt zum Hinterhof, die auch als Feuerwehrzufahrt dient. Am 11.9.2008 äußern die Wohnungseigentümer ihre Hoffnung, dass der Lieferverkehr im Kern künftig über eine von der Stadt einzurichtende Lieferzone vor dem Supermarkt abgewickelt wird. Im Übrigen beschließen die Wohnungseigentümer aber, in der Zeit von 7 Uhr bis 12 Uhr pro Tag ein Lieferfahrzeug zu dulden.

Nach diesem Beschluss richtet die Stadt die Lieferzone ein. Diese wird häufig durch parkende Fahrzeuge blockiert. Aus diesem Grund nutzen Fahrzeuge, die den Supermarkt beliefern, an 2 Tagen pro Woche weiterhin die Durchfahrt für jeweils 1,5 Stunden. Der gehbehinderte Wohnungseigentümer K kann seine Wohnung in dieser Zeit nur über einen neben der Durchfahrt liegenden Fußweg erreichen. Dazu muss er Treppen steigen, die er nicht nutzen müsste, wenn die Durchfahrt frei wäre. K geht daher gegen den Mieter B des T vor. Mit seiner im Jahr 2019 erhobenen Klage will K erreichen, dass B den Gebrauch der Zufahrt durch Lieferfahrzeuge unterlässt.

4 Die Entscheidung

Mit Erfolg! Die direkte Störung betreffe zwar die im gemeinschaftlichen Eigentum stehende Durchfahrt und nicht den räumlichen Bereich des Sondereigentums des K. Ein Wohnungseigentümer, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte vor dem 1.12.2020 eingeklagt habe, sei aber zu einer Klage befugt, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mitgeteilt werde. Im Fall gebe es keine beachtliche Äußerung.

Der Beschluss vom 11.9.2008 ändere an der Rechtslage nichts. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 der Hessischen Bauordnung (HBO) müsse eine Feuerwehrzufahrt ständig freigehalten werden. Dort bestehe also ein absolutes Halteverbot. Die im Beschluss vom 11.9.2008 ausgesprochene Duldung verstoße gegen diese Anordnung. Ein Beschluss der im Widerspruch zu bauordnungsrechtlichen Vorschriften eine Duldung des regelmäßigen Haltens von Lieferfahrzeugen in der auf dem Grundstück der Wohnungseigentümer befindlichen Feuerwehrzufahrt zusage, sei nichtig. § 5 Abs. 2 HBO diene der Gefahrenabwehr und dem Brandschutz und schütze damit sowohl die Wohnungseigentümer als auch Dritte.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es um die Frage, ob die Lieferfahrzeuge das gemeinschaftliche Eigentum oder das Sondereigentum oder beide Rechte beeinträchtigen. Daneben ist zu beantworten, ob B überhaupt gegen die Bestimmungen der Wohnungseigentümer verstößt: Immerhin hatten die Wohnungseigentümer erlaubt, dass Lieferfahrzeuge die Durchfahrt vorübergehend versperren dürfen.

Wo findet eine Störung statt?

Die WEG-Reform macht es notwendig, zu fragen, ob es sich bei einer behaupteten Störung um eine solche des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums handelt. Die Antwort auf diese Frage ist für die Wohnungseigentümer, aber auch für Verwaltungen sehr wichtig! Wird nämlich das gemeinschaftliche Eigentum gestört, muss die Verwaltung gegebenenfalls einschreiten. Jedenfalls muss sie die Wohnungseigentümer informieren und für eine Willensbildung sorgen. Der BGH hatte in den letzten Monaten mehrfach Gelegenheit, für eine Aufklärung und eine Abgrenzung der verschiedenen Bereiche zu sorgen. Fasst man seine Entscheidungen zusammen, wann von einer Störung des Sondereigentums auszugehen ist, ergibt sich grob folgendes Bild:

Fall 1: Ein Wohnungseigentümer kann im Bereich seines Sondereigentums Lärm wahrnehmen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass der Lärm auch im gemeinschaftlichen Eigentum wahrzunehmen ist, ist unerheblich.

Fall 2: Ein Wohnungseigentümer kann im Bereich seines Sondereigentums Gerüche wahrnehmen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass die Gerüche auch im gemeinschaftlichen Eigentum wahrzunehmen sind, ist unerheblich.

Fall 3: Ein Sondereigentum wird verschattet. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass auch das gemeinschaftliche Eigentum verschattet wird, ist unerheblich.

Fall 4: Einem Sondereigentum wird die Aussicht genommen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass auch das gemeinschaftliche Eigentum eine Beeinträchtigung erfährt, ist unerheblich.

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