Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (Beschluss XI R 54/06, BStBl 2008 II S. 772) vom 20.12.2007 ging es um die Frage, wie die Übertragung eines Bestandes an Versicherungsverträgen zwischen zwei Versicherungsunternehmen mehrwertsteuerlich zu behandeln ist. Im Ausgangsverfahren ging es um eine Versicherungs-Aktiengesellschaft (AG), die aufgrund eines Bestandsübernahmevertrages Lebensrückversicherungsverträge entgeltlich auf ein in der Schweiz ansässiges Versicherungsunternehmen (S) übertragen hatte. S trat dabei in die Lebensrückversicherungsverträge ein und übernahm alle Rechte und Pflichten aus diesen Verträgen, wobei S die erforderliche Zustimmung der Versicherungsnehmer einzuholen hatte. S übernahm ebenfalls die Forderungen, Verbindlichkeiten und Rückstellungen aus den Lebensrückversicherungsverträgen. Neben den Verträgen und den zu ihnen gehörenden Unterlagen gingen keine weiteren Wirtschaftsgüter und auch keine Arbeitsverhältnisse auf S über. Das Finanzamt behandelte die Leistung der AG als steuerpflichtige Lieferung eines Gegenstandes.

Der BFH äußerte in seinem Vorabentscheidungsersuchen Zweifel, ob die Anwendung des nationalen Rechts den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entspricht. Seine Auslegungszweifel betrafen den Leistungsort bei Versicherungs- und Finanzumsätzen nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstich der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 56 Abs. 1 Bucht. e MwStSystRL), die Steuerbefreiung für Versicherungsumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-RL (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL), die Steuerbefreiung für die Übernahme von Verbindlichkeiten nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL), die Steuerbefreiung für Forderungsumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL) sowie die Steuerbefreiung für die Lieferung bestimmter Gegenstände nach Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 136 Buchst. a MwStSystRL).

 

Entscheidung

Der EuGH hatte zu prüfen, ob die Übertragung eines Versicherungsbestandes zwischen zwei Versicherungsunternehmen im Sinne des Gemeinschaftsrechts als Lieferung von Gegenständen oder als Dienstleistung anzusehen ist. Er hat unzweifelhaft entschieden, dass es sich hierbei um die Übertragung von Rechten und Pflichten und damit um eine Dienstleistung nach Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL (ab 1.1.2007: Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL) handelt. Eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-RL (ab 1.1.2007: Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) setzt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, voraus. Daran fehlte es hier. Da Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-RL (ab 1.1.2007: Art. 136 Buchst. a MwStSystRL) eine Lieferung von Gegenständen voraussetzt, konnte diese Steuerbefreiung hier nicht zur Anwendung kommen.

Ferner musste der EuGH prüfen, ob es sich bei der Übertragung eines Versicherungsbestandes um einen Versicherungsumsatz im Sinne des Gemeinschaftsrechts handelt, sowohl für Zwecke der Ortsbestimmung als auch für Zwecke der Steuerbefreiung. Fraglich war insbesondere, ob der Begriff Versicherungsumsatz für beide Zwecke gleich auszulegen ist. Der EuGH hat das Vorliegen eines Versicherungsumsatzes mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung zu diesem Begriff (zu Recht) verneint. Ebenso stellt die Übertragung des Versicherungsbestandes nach dem EuGH-Urteil keine Übernahme von Verbindlichkeiten nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) und auch keinen Forderungsumsatz nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL) dar.

Ebenso hat der EuGH entschieden, dass Versicherungs- bzw. Bankumsätze in Artikel 13 der 6. EG-Richtlinie und in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie gleichermaßen auszulegen sind. Davon war wohl auszugehen, wenn dieser Begriff vom Gemeinschaftsgesetzgeber innerhalb einer Richtlinie mehrfach verwendet wird. Die 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: MwStSystRL) definiert den Begriff des Versicherungsumsatzes nicht. Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH zur Steuerbefreiung von Versicherungsumsätzen ergibt sich, dass es nach allgemeinem Verständnis das Wesen eines Versicherungsumsatzes ist, dass der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung zu erbringen (vgl. u.a. EuGH, Urteil v. 25.2.1999, C-349/96 (Card Protection Plan). Ferner setzt ein Versicherungsumsatz seinem Wesen nach eine Vertragsbeziehung zwischen dem Erbringer der Versicherungsdienstleistung und dem Versicherten voraus (vgl. u.a. EuGH, Urteil v. 8.3.2001, C-240/99, (Skandia). Der EuGH hat noch einmal klargestellt, dass die Übertragung eines Bestandes an Versicherungen zwischen zwei Versicherungsunternehmen i...

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