Leitsatz (amtlich):

Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung.

 

Sachverhalt:

§ 4 Nr. 14 UStG bestimmt in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei sind. Streitig war, ob der Beschwerdeführer entgegen der Rechtsprechung des BFH[1] in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt ist, dass seine Umsätze als selbstständiger Heileurythmist nicht als steuerfrei behandelt worden sind. Das BVerfG hat diese Frage bejaht, die angegriffene Entscheidung des BFH aufgehoben und an den BFH zurückverwiesen.

 

Aus den Entscheidungsgründen:

I.

  1. Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft und um so mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden[2].
  2. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die
  1. einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen[3]. Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretiesieren sind.
  2. Die Umsatzsteuer erfasst die Kaufkraft, den Markterfolg des Konsumenten. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG belastet die Umsatzsteuer die entgeltliche unternehmerische Leistung im Inland. Sie ist darauf angelegt, auf den Endverbraucher überwälzt zu werden; Umsatzsteuerbelastungen einer Leistung an einen Unternehmer werden durch Vorsteuerabzug zurückgenommen. Dieser umsatzsteuerliche Grundtatbestand stellt alle unternehmerischen Tätigkeiten gleich. Die frühere unterschiedliche Belastung von freiberuflichen und gewerblichen Betätigungen im Steuersatz ist durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981[4] aufgehoben worden. Eine Steuerermäßigung für Umsätze freier Berufe widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der Überwälzbarkeit nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen[5].
  3. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden[6].

II.

Nach diesem Maßstab verstößt die angegriffene Entscheidung des BFH, die einer beruflichen Tätigkeit als Heileurythmist die Umsatzsteuerbefreiung nur zuspricht, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufgenommen oder ihre Ähnlichkeit mit einem Katalogberuf durch eine Berufsregelung bestätigt hat, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

  1. Die angegriffene Entscheidung führt im Ergebnis dazu, dass der Beschwerdeführer allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung für Tätigkeiten im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG ausgenommen ist, weil keine berufsrechtlichen Regelungen für die Heileurythmie bestehen.

Die berufsrechtliche Regelung ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer "heilberuflichen Tätigkeit" im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte. Eine berufsrechtliche Regelung mag geeignet sein, die berufliche Qualifikationshöhe einzuschätzen. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt jedoch für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, eine Ähnlichkeit mit einem in § 4 Nr. 14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund erfasst die entgeltliche unternehmerische Leistung unabhängig von der beruflichen Qualifikation des Unternehmers. Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 14 UStG zeichnet auch keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für Heil- und Heilhilfsberufe von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Vielmehr ist erkennbarer Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer[7].

  1. Auch die Verwaltungspraxis der Umsatzbesteuerung von Heil- und Heilhilfsberufen bestimmte die umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen nicht allein nach berufsrechtlichen Vorgaben. Die Finanzverwaltung behandelte die Tätigkeit der nicht ärztlichen Psychagogen und Psychotherapeuten ohne Heilpraktikererlaubnis trotz fehlender Regelung als ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr...

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