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Bei der Markteinführung neuer apotheken- und verschreibungspflichtiger Arzneimittel gilt der vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegte einheitliche Preis, der als Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) bezeichnet oder unter der früheren, aber immer noch weit verbreiteten Bezeichnung Herstellerabgabepreis (HAP) geführt wird (vgl. § 78 AMG). Aufgrund des § 35a sind die pharmazeutischen Unternehmer aber verpflichtet, ihre neuen Arzneimittel nach der Markteinführung einer frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zu unterziehen. "Früh" heißt, dass spätestens zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff bzw. 4 Wochen nach Zulassung neuer Anwendungsgebiete des Arzneimittels der pharmazeutische Unternehmer das Dossier zur Nutzenbewertung nach § 35a einreicht. Näheres zum Format und zur Gliederung des Dossiers, den einzureichenden Unterlagen und den Vorgaben für technische Standards ergibt sich aus der Anlage II zum 5. Kapitel der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Legt der pharmazeutische Unternehmer die erforderlichen Nachweise trotz Aufforderung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht rechtzeitig oder nicht vollständig vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt (§ 35a Abs. 1).

Während der Dauer der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, der anschließenden Verhandlung über den Erstattungsbetrag sowie ggf. bis zur Festsetzung des Erstattungsbetrages durch die Schiedsstelle gilt der vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegte Preis fort. Allerdings dauert diese Zeitspanne maximal 12 Monate, weil ab dem 13. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen mit dem Wirkstoff oder nach Zulassung des neuen Anwendungsgebietes der vereinbarte Erstattungsbetrag gilt. Die Beteiligten müssen also dafür sorgen, innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fristen die zu leistenden Aufgaben so fristgerecht abzuschließen, dass ab dem 13. Monat der Erstattungsbetrag zur Verfügung steht.

Gegenstand sind die Vereinbarungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und pharmazeutischen Unternehmern über Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel bei folgenden Fallkonstellationen:

  1. Neues Arzneimittel, für das der Gemeinsame Bundesausschuss einen Zusatznutzen nach § 35a Abs. 3 festgestellt hat und das mit dem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet worden ist,
  2. Neues Arzneimittel, für das kein Zusatznutzen festgestellt worden ist und welches keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann.

Der Zusatznutzen muss belegt werden, denn nicht jedes neue Arzneimittel ist automatisch besser oder schließt Versorgungslücken. Vor dem AMNOG hatten Hersteller schon oft einen innovativen Charakter ihres neuen Arzneimittels behauptet, den das Präparat im Versorgungsalltag jedoch nicht eingelöst hatte. Gleichwohl mussten die Krankenkassen solche Preise bezahlen, die sich an echten Innovationen orientiert hatten.

Nach Aussage des GKV-Spitzenverbandes wiesen 49 % der bis November 2015 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bewerteten Arzneimittel in keiner Patientengruppe einen Zusatznutzen aus.

Die nach Abs. 1 Satz 1 zu treffende Vereinbarung bezieht sich auf ein nicht festbetragsfähiges neues Arzneimittel, das einen oder mehrere neue Wirkstoffe enthält. Gehört das neue Arzneimittel nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses aber zu einer Festbetragsgruppe (vgl. § 35) bzw. kann einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden und sind die Nutzenbewertung nach § 35a oder die Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b mit positivem Ergebnis festgestellt worden, kommt die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages schon deshalb nicht in Betracht, weil vorrangig der Festbetrag für dieses Arzneimittel gemäß § 35 Abs. 3 vom GKV-Spitzenverband bestimmt wird, und zwar unabhängig vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers. Die Festbetragsregelung nach § 35 richtet sich an Vertragsärzte und Versicherte, nicht jedoch an den pharmazeutischen Unternehmer, wie das BSG mit Urteilen v. 1.3.2011 (B 1 KR 7/10 R und B 1 KR 10/10 R) zum Ausdruck gebracht hat. Nach § 29 Abs. 6 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) hat die Vertragsärztin/der Vertragsarzt daher den Versicherten auf die Verpflichtung zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen, wenn sie bzw. er ein Arzneimittel verordnet, dessen Preis den Festbetrag nach § 35 überschreitet. Gleichwohl bringt die Festbetragsregelung erhebliche Einsparungen zugunsten der Krankenversicherung und geht mithin immer der Vereinbarung eines Erstattungsbetrages nach Abs. 1 vor.

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