Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung. Prüfung. sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung. Krankenhausträger. Aufwandspauschale. Prüfverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs des § 275 SGB 5 unter Verwertung der Behandlungsdaten aus Patientenakte. Verstoß gegen informationelle Selbstbestimmung und Sozialdatenschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ob eine Prüfung nach § 275 Abs 1c S 1 SGB V in Verbindung mit § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V vorliegt, ist durch Auslegung des Prüfauftrages der Krankenkasse aus dem objektiven Empfängerhorizont zu entscheiden.

2. Die Prüfung der sachlich rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung durch den MDK hat ihre Grundlage in § 275 Abs 1c SGB V in Verbindung mit § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V und nicht (allein) in § 301 SGB V.

3. Auch bei einer Überprüfung der sachlich rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung durch den MDK entsteht - soweit die übrigen Voraussetzungen des § 275 Abs 1c S 3 SGB V vorliegen - ein Anspruch des Krankenhausträgers auf Zahlung der Aufwandspauschale.

 

Orientierungssatz

Die Annahme eines Prüfverfahrens der sachlich-rechnerischen Richtigkeit durch den MDK außerhalb des Anwendungsbereichs des § 275 SGB 5 unter Verwertung der Behandlungsdaten aus der Patientenakte führt zu einer Verletzung des Grundrechts der behandelten Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art 1 Abs 1 in Verbindung mit Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) und verstößt darüber hinaus gegen die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Sozialdatenschutzes.

 

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2015 zu bezahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Der Streitwert wird auf 300 Euro festgesetzt.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob ein unstrittiger Anspruch der Klägerin durch Aufrechnung mit einem strittigen Erstattungsanspruch der Beklagten wegen einer angeblich ohne Rechtsgrund an die Klägerin geleisteten Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 Euro erloschen ist.

Die Klägerin ist Trägerin eines gemäß § 108 Ziffer 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zugelassenen Krankenhauses. In diesem Krankenhaus wurde die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte C. (Versicherte) in der Zeit vom 27. Januar 2014 bis zum 05. Februar 2014 stationär behandelt. Mit Rechnung vom 12. Februar 2014 forderte die Klägerin von der Beklagten die Vergütung für diesen stationären Aufenthalt auf Grundlage der DRG-Fallpauschale "H41B".

In der Folgezeit beauftragte die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Abrechnung, was der Klägerin mit Schreiben des MDK vom 19. Februar 2014 angezeigt wurde. In dem Schreiben des MDK wurde insbesondere ausgeführt:

"[...] der MDK Bayern hat gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V einen Prüfauftrag über die u.g. Krankenhausbehandlungen erhalten, was wir hiermit gemäß § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V anzeigen [...]."

Weiterhin wird in diesem Schreiben in Bezug auf die Krankenhausbehandlung der Versicherten folgende Fragestellung genannt:

"Ist / Sind die Nebendiagnose(n) (ND) korrekt? AFG: Die J18.1; D68.4 sind aufgrund der uns vorliegenden Patientenhistorie fraglich, in Bezug auf die gemeldeten Prozeduren nicht explizid [sic] nachvollziehbar."

Die Gutachterin des MDK Frau N. führte in ihrem in dieser Sache erstellten Gutachten vom 15. Juli 2014 insbesondere aus:

"Im Rahmen der Einzelfallbegutachtung (im Krankenhaus A-Stadt am 14.07.2014) kam es nach Einsicht in die Krankenakte, jedoch ohne Fallbesprechung mit der Klinik, zu folgendem Ergebnis: Die Kodierung der ccl-relevanten Nebendiagnosen ist sachgerecht, die DRG bleibt bestehen."

Die Klägerin forderte daraufhin mit Rechnung vom 22. Juli 2014 von der Beklagten die Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 Euro. Die Beklagte beglich die Rechnung in der Folgezeit.

Mit Schreiben vom 17. September 2015 forderte die Beklagte von der Klägerin die Rückzahlung der geleisteten Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 Euro. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts habe in seinen Urteilen vom 01. Juli 2014 und 14. Oktober 2014 den Anspruch auf die Aufwandspauschale konkretisiert. Soweit das Krankenhaus dem MDK - wie vorliegend - lediglich im Rahmen der Abklärung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit die Möglichkeit eröffne, Behandlungsunterlagen einzusehen, finde § 275 Abs. 1c SGB V keine Anwendung. Daher sei kein Anspruch auf die Aufwandspauschale entstanden. Die 300,00 Euro seien daher ohne Rechtsgrund geleistet worden.

Nachdem die Klägerin die Rückzahlung verweigerte, erklärte die Beklagte am 12. Oktober 2015 die Aufrechnung in Höhe von 300,00 Euro gegen eine zwischen den Beteiligten unstrittige Forderung der Klägerin aus einer stationären Behandlung eines anderen Versicherten der Beklagten.

Die Klägerin hat am 21. Dezember 2015 Klage zum Sozialgerich...

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