Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hörgeräteversorgung. Zuständigkeit- erstangegangener Leistungsträger. Verurteilung nach notwendiger Beiladung. Reduzierung des Auswahlermessens auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers an die Krankenversicherung ist als umfassender Antrag des Versicherten zu werten, der sich nicht nur auf die Versorgungspauschale bezieht, sondern auch auf den darüber hinausgehenden Eigenanteil. Die Krankenversicherung wird durch diesen Antrag erstangegangener Leistungsträger.

2. Der erstangegangene Leistungsträger bleibt auch nach Erlass eines (eventuell rechtswidrigen) Verwaltungsaktes zuständig für die Hörgeräteversorgung des Versicherten, sowohl hinsichtlich der Versorgungspauschale, als auch hinsichtlich des darüber hinausgehenden Festbetrages.

3. Der erstangegangene Leistungsträger kann nach notwendig erfolgter Beiladung gem § 75 Abs 5 SGG verurteilt werden. Ihr früher ergangener teilablehnender Bescheid steht dem nicht entgegen.

4. Inhaltliche Bescheide des zweitangegangenen Leistungsträgers, sind aufzuheben, da dieser sachlich unzuständig war.

5. Das Auswahlermessen der Krankenversicherung zwischen mehreren gleich geeigneten Hörgeräten, reduziert sich auf Null, wenn der Versicherte seinen Mitwirkungspflichten ausreichend nachgekommen ist (hier durch Austestung von zehn Hörgeräten, darunter auch eigenanteilsfreie). Möchte die Krankenversicherung verhindern, dass der Kläger sich auf das am besten getestete Gerät festlegt, muss sie konkrete eigenanteilsfreie Versorgungsalternativen aufzeigen. Sie muss insbesondere ein bestimmtes, ihrer Meinung nach geeignetes Gerät und einen Hörgeräteakustiker benennen, der bereit ist, dieses Gerät eigenanteilsfrei anzupassen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 17.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2011 wird aufgehoben.

2. Der Bescheid der Beigeladenen zu 1) vom 29.09.2010 wird geändert.

3. Die Beigeladene zu 1) wird verurteilt, den Kläger mit den Hörgeräten Oticon agil Pro BTE 13 zu versorgen.

4. Die Beigeladene zu 1) trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der anderen Beteiligten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für die beidseitige Hörgeräteversorgung mit den Geräten Oticon agil Pro BTE 13.

Der am F..1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten rentenversichert und bei der Beigeladenen zu 1) krankenversichert. Er leidet unter einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit beidseits. Der Kläger erhielt aufgrund Hörverschlechterung von seinem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. G. am 09.09.2010 eine Verordnung über eine neue beidseitige Hörgeräteversorgung. Mit dieser Verordnung wandte sich der Kläger an den Hörgeräteakustiker H., der eine Anpassung mit Hörgeräten durchführte.

Der Akustiker übersandte der Beigeladenen zu 1) am 28.09.2010 eine Versorgungsanzeige, woraufhin diese mit Bescheid vom 29.09.2010 die entstehenden Kosten in Höhe des Vertragspreises von 1.192,80 € übernahm.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 05.10.2011 Widerspruch ein und trug vor, der Antrag auf Hörgeräteversorgung sei damals auch auf den überschießenden Betrag über den Vertragspreis hinaus gerichtet gewesen. Ein Widerspruchsbescheid ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ergangen.

Der Kläger beantragte am 11.10.2010 bei der Beklagten die Übernahme der über die Versorgungspauschale hinausgehenden Kosten. Er reichte einen Kostenvoranschlag des Akustikers H. über einen Eigenanteil von 3.557,00 € ein. Zudem legte er eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vor, wonach er als Physiotherapeut Gruppenstunden in Form von Bewegungsbädern und Gymnastik in gefliesten Räumen mit Wasserrauschen abhalten müsse und es zudem auch erforderlich sei, dass er telefonieren könne.

Mit Bescheid vom 17.11.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da kein berufsspezifischer Mehrbedarf vorliege. Der Kläger benötige bereits im Alltag höherwertige Hörgeräte.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, Gespräche seien während seiner Arbeit unerlässlich, es gebe Nebengeräusche und er müsse sich in gekachelten Räumen verständigen können. Er könne nicht im erforderlichen Umfang mit  Patienten kommunizieren und werde seinen beruflichen Anforderungen daher nicht gerecht. Der Kläger reichte eine Stellungnahme seines Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. G. ein, wonach die Hörgeräte auch aufgrund der beruflichen Situation notwendig seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, die Krankenkasse sei zuständig, da der Kläger unter einer hochgradigen Schwerhörigkeit leide, die bereits im Alltagsgebrauch höherwertige Hörgeräte erforderte. Zweier- und Gruppengespräche sowie Telefonate auch bei Störgeräusch würden zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören. Die Versorgung sei daher nicht ausschließlich und unmittelbar aus beruflichen Gründen notwendig.

Der Kläger hat am 24.05.2011 Klage erhoben.

Das Gericht hat sodann die Beigeladene zu 1) als in Betracht kommender Kostenträg...

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