Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Motivationszuwendung. Zuwendung der freien Wohlfahrtspflege. Abhängigkeit der Gewährung von einer zumindest arbeitnehmerähnlichen Gegenleistung. Erwerbseinkommen. Absetzbeträge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erwerbstätigkeit im Sinne von § 11b SGB II ist nicht gleichzusetzen mit der Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV, sondern umfasst darüber hinaus alle erwerbsbezogenen Tätigkeiten, für die Gegenleistung in irgendeiner Form erzielt wird.

2. Auch Einkünfte aus einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis haben deshalb als Erwerbseinkünfte im Sinne von § 11b SGB II zu gelten.

3. Von karitativen Einrichtungen an Leistungsempfänger nach den SGB II geleistete "Motivationszuwendungen" sind wie Erwerbseinkommen bei der Berechnung der Leistungshöhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu behandeln, wenn die Gewährung der Motivationszulage von einer zumindest arbeitnehmerähnlichen Gegenleistung des Hilfeempfängers abhängig gemacht ist, auch wenn hierbei keine vollständige synallagmatische Verknüpfung zwischen Zuwendung und zu verrichtender Tätigkeit besteht.

4. Eine "Zuwendung der freien Wohlfahrtspflege" nach § 11a Abs 4 SGB II liegt in diesen Fällen nicht vor, da diese grundsätzlich ohne Gegenleistung des Hilfeempfängers erfolgt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.09.2020; Aktenzeichen B 4 AS 3/20 R)

 

Tenor

I. Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 23.01.2015 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.02.2015 und 04.08.2015 sowie der Widerspruchsbescheid vom 07.05.2015 wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, den Arbeitslosengeld II - Anspruch des Klägers für den Zeitraum 01.02.2015 bis 31.07.2015 endgültig festzustellen unter Berücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge nach § 11b SGB II

und für den Zeitraum 01.08.2015 bis 30.09.2015 dem Kläger die mit Bescheid vom 02.09.2014 ursprünglich bewilligten Leistungen weiter vorläufig zu gewähren.

II. Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

 

Tatbestand

Der 19… geborene Kläger (KL) bezieht vom Beklagten (Bk) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt hatte der Bk dem Kl mit Bescheid vom 02.09.2014 für den Zeitraum 1.10.2014 bis 31.09.2015 Leistungen in Höhe von vorläufig 568,05 € (231,-€ Regelleistungen [RL] und 337,-€ Kosten der Unterkunft [KdU]) unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens aus einem "Mini-Job" beim C. c.-Stadt in Höhe von vorläufig 300,-€ mtl. und einer Anrechnung von Einkommen in Höhe von ca. 160,-€ bewilligt. Mit Änderungsbescheiden vom 31.10.2014, 27.11.2014 und 08.01.2015 wurden die Leistungen des Kl - erneut vorläufig- für die Monate Oktober, November und Dezember 2014 angepasst auf 728,05 € für Oktober und November sowie auf 649,09 € für Dezember 2014. Diese Bescheide wurden nicht mit Rechtsmitteln angegriffen.

Mit streitgegenständlichem Änderungsbescheid des Bk vom 23. Januar 2015 wurde die Leistung des Klägers für den Zeitraum Februar 2015 bis Oktober 2015 auf einen Gesamtbetrag von 475,46 € (vorläufig) herabgesetzt. Als Begründung für diese Änderung wurde angegeben, dass der Antragsteller zum 1.1.2015 einen neuen Betreuungsvertrag mit der C. abgeschlossen habe. Der Antragsteller erhalte aus dieser Vereinbarung eine Motivationszuwendung, welche als sonstiges Einkommen bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen sei. Die Freibeträge aus Erwerbseinkommen könnten deshalb ab Februar 2015 nicht mehr gewährt werden; anzurechnen sei ein Einkommen in Höhe von nunmehr 260,59 €. Diese Entscheidung ergehe vorläufig im Sinne von § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III, § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II.

Der dagegen am 28.01.2015 eingelegte Widerspruch des Kl wurde mit Widerspruchsbescheid des Bk vom 7.5.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Begründung wird Bezug genommen (Bl. 854 ff der Leistungsakten des Bk).

Dagegen erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 8.6.2015 Klage zum Sozialgericht München und ersuchte das Sozialgericht München (SG) am 22.6.2015 unter dem AZ S 46 AS 1349715 ER um Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28.01.2015 gegen den Änderungsbescheid vom 23.01.2015 anzuordnen und die insoweit einbehaltenen Beträge wieder zur Auszahlung zu bringen, worauf mit Beschluss des SG vom 24.07 2015 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Änderungsbescheid und die vorläufige Wiederauszahlung der insoweit einbehaltenen Beträge angeordnet wurde, da der Änderungsbescheid des Bk sei rechtswidrig sei. Zur weiteren Begründung wird auf Bl. 79 ff der Gerichtsakten des Antragsverfahrens Bezug genommen.

In der Klageerwiderung vom 14.07.2015 wurde beantragt, die Klage abzuweisen (Bl. 33, 34 der Gerichtsakten).

Schließlich wurden mit weiteren vorläufigen Bescheiden des Bk vom 26.02.2015 und 04.08.2015 die Leistungen des Kl erneut in Anpassung an die vom Kl erzielten Einnahmen vorläufig festgesetzt.

Das Gericht...

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