Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Tatbestandsmerkmal "rechtmäßiger Aufenthalt" bei einer GdB-Feststellung von weniger als 50

 

Orientierungssatz

1. Zur Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheides nach § 45 SGB 10, wenn die Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheides (GdB 40) darauf gestützt wurde, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung nicht rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB 9 aufgehalten habe.

2. § 2 SGB 9 differenziert zwischen der Frage, ob ein Mensch behindert oder schwerbehindert ist. Das Tatbestandsmerkmal "rechtmäßiger Aufenthalt" findet sich nur in § 2 Abs 2 SGB 9. Nur in dieser Vorschrift wird für die Definition des schwerbehinderten Menschen ein rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik gefordert. In § 2 Abs 1 S 1 SGB 9, der im Umkehrschluss dazu einen GdB von weniger als 50 ausreichen lässt, ist dieses Tatbestandsmerkmal gerade nicht enthalten.

 

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2005 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Der 1958 geborene Kläger beantragte am 29. März 2004 bei dem Versorgungsamt H. die Feststellung eines GdB, insbesondere die Ausstellung eines Ausweises für schwerbehinderte Menschen sowie die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ (erhebliche Gehbehinderung).

Nach Einholung verschiedener medizinischer Unterlagen und unter Berücksichtigung einer ärztlichen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten - des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Malte I. - vom 26. Mai 2004 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2004 einen GdB von 30 ab dem 29. März 2004 sowie die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Diese Entscheidung stützte sich auf die Funktionsbeeinträchtigungen Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Bypassoperation. Auf den hiergegen am 16. Juni 2004 erhobenen Widerspruch erteilte das Versorgungsamt H. am 22. September 2004 einen Teilabhilfebescheid dahingehend, dass der GdB ab dem 16. Juni 2004 40 betrage.

Am 12. Oktober 2004 hörte das Versorgungsamt H. den Kläger zu der beabsichtigten Erteilung eines Rücknahmebescheides gemäß § 45 SGB X an und nahm dementsprechend die Bescheide vom 10. Juni 2004 und vom 22. September 2004 unter Hinweis auf § 45 SGB X mit Bescheid vom 28. Februar 2005 zurück und begründete dies damit, dass zum Zeitpunkt der beiden Entscheidungen vom 10. Juni 2004 und vom 22. September 2004 keine Aufenthaltserlaubnis vorgelegen habe. Das Asylverfahren sei bereits beendet gewesen, seit dem 6. August 2003 bestehe eine Duldung. Eine Anerkennung sei erst dann möglich, wenn sich die Duldung über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren erstrecke. Da die Duldung erst sei einem Jahr vorliege, seien die erteilten Feststellungen rechtswidrig erlassen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2005 wies der Beklagte den Widerspruch vom 16. Juni 2004 gegen den Bescheid des Versorgungsamtes H. vom 10. Juni 2004 und den Teilabhilfebescheid vom 22. September 2004 sowie den Rücknahmebescheid vom 28. Februar 2005, der nach Auffassung des Beklagten gemäß § 86 Abs. 1 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden ist, zurück. Die Grundvoraussetzungen für die Anerkennung als behinderter bzw. als schwerbehinderter Mensch lägen nicht vor. Die nach § 45 Abs. 2 SGB X erforderliche Abwägung des Vertrauens des Begünstigen in den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem öffentlichen Interesse an dessen Rücknahme habe ergeben, dass der rechtswidrige Bescheid zurück zu nehmen sei, weil das öffentliche Interesse - auch das Interesse der zuständigen Stellen für die Erbringung von Leistungen aufgrund der Anerkennung als schwerbehinderter bzw. als behinderter Mensch - an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes höher einzuschätzen sei. Da das Gesetz bei Ausländern einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetze, bestehe im Falle des Klägers keine Veranlassung, von dieser grundlegenden Voraussetzung abzuweichen und auf die Rücknahme des Feststellungsbescheides zu verzichten.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2005 Klage bei dem Sozialgericht Lüneburg erhoben und trägt zur Begründung seines Begehrens vor, entgegen der Auffassung des Beklagten erfülle der Kläger die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Schwerbehinderter. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reiche der Aufenthalt des Klägers im Rahmen der ihm gewährten Duldung aus, um die Voraussetzungen eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik zu erfüllen. Gemäß § 2 SGB IX komme es lediglich darauf an, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzes habe. Nach der Rechtsprechung bleibt es dabei, dass “gewöhnlicher Aufenthalt„ im Sinne des Abs. 2 auch bei A...

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