Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. tätlicher Angriff. Stalking durch Nachbarn. Drohung mit Brandstiftung und Erschießung. Schlag mit einer Gartenharke. nächtliches Auflauern mit einer Axt. Psychoterror. kein Ausschluss des Anspruchs bei Unzumutbarkeit eines Wegzugs

 

Orientierungssatz

1. Das "Stalking" zeichnet sich dadurch aus, dass neben körperlichen Attacken im Gesamtgeschehen auch Angriffe auf die Psyche (oft im Ausmaß eines regelrechten "Psychoterrors") vorliegen. Es wäre nicht sachgerecht, das "Stalking" von der Opferentschädigung auszuschließen, nur weil es nicht bei jeder einzelnen Tathandlung zu Tätlichkeiten, dh zu tatsächlichen körperlichen Zwangseinwirkungen kommt. Es muss ausreichen, dass es sich nur bei einer oder einzelnen Tatelementen des Gesamtgeschehens um echte Tätlichkeiten handelte.

2. Ein Ausschluss des Anspruchs nach § 2 OEG kommt nicht in Betracht, wenn das Opfer der Bedrohungslage nicht entkommen konnte (hier Unzumutbarkeit eines Wegzugs wegen der Pflege des kranken Schwiegervaters).

 

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2007 wegen des vom Nachbarn D. betriebenen "Stalkings" eine vorsätzliche, rechtswidrige Gewalttat nach dem OEG anzuerkennen und die daraus resultierenden Leistungen zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollem Umfang.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Opferentschädigung wegen eines jahrelang durch ihren Nachbarn Johann D. betriebenen "Stalkings".

Die am 21.09.1968 geborene Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann, Stefan A., ein Anwesen, das unmittelbar angrenzt an das Anwesen des Johann D.. Am 07.06.1999 kam es auf der Zufahrt zu den beiden Anwesen zu einem Unfall zwischen Stefan A. und Johann D.. Im danach folgenden Schadensersatzprozess vor dem Amtsgericht C-Stadt wurde nur der Hälfte der Klageforderung des Johann D. stattgegeben, da diesem ein hälftiges Mitverschulden zugerechnet wurde (Urteil des Amtsgerichts C-Stadt vom 20.07.2000, Az: 18 C 0332/00).

Damit konnte sich Johann D. jedoch nicht abfinden. Um die Zahlung des ihm aus seiner Sicht zustehenden restlichen Geldbetrages zu erzwingen, errichtete er im Zeitraum ab Juli 2000 vor dem Küchenfenster der Eheleute A. einen mehrfach erhöhten Bretterverschlag, um den Lichteinfall zu behindern. Zudem stellte er wiederholt unmittelbar vor dem Küchenfenster zwei Schubkarren mit Gülle auf, errichtete wiederholt Holzkreuze rund um das Grundstück und hängte eine tote Ratte auf. Hierbei gab er gegenüber den Eheleuten A. mehrfach zu erkennen, dass er mit seinen Terrorhandlungen aufhören würde, wenn sie ihm auch die andere Hälfte der ursprünglichen Klageforderung begleichen würden. Er setzte die Eheleute A. mit folgenden Drohungen unter Druck: "Ich verbarrikadiere die Grundstücke so lange, bis ihr bezahlt". "Ich drangsaliere euch so lange, bis bezahlt wird". "Ich erschlage euch; die Kreuze sind da, damit ihr verreckt". "Ich erschieße euch". "Die Kreuze sind da, damit du dreckige Mistsau verreckst". "Euren Hund erschieße ich auch noch einmal". "Die Barrikade lasse ich 15 Jahre stehen, damit sie einwächst". "Ich sperr euch ein; ich bring euch hinter Gitter".

Besonders zu Herzen nahmen sich die Eheleute A. die Drohung des Erschießens. Ihnen wurde von dritter Seite zugetragen, dass Johann D. über eine Waffe nebst Waffenschein verfüge.

Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt Ende November 2001 verletzte Johann D. die Klägerin, indem er mit einer Gartenharke auf sie losging und die Harke nach ihr warf. Sie wurde schließlich hinten von der Harke getroffen und erlitt schmerzhafte Druckstellen am rechten Beckenkamm hinten und am oberen Gesäßbereich. Die Gartenharke war nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Wegen dieser Taten wurde Johann D. mit Urteil des Amtsgerichts C-Stadt vom 17.06.2003 (Az: 4 Ls 106 Js 7821/02) unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am Tag der Hauptverhandlung hatte Johann D. der Klägerin eine tote Ratte vor das Fenster gehängt.

Trotz der Verurteilung setzte er die Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann fort. Am 09.02.2005 bedrohte er die Klägerin anlässlich eines Brandes beim Nachbarn damit, dass es ihr auch noch so ergehen würde, wenn sie nicht alles regeln würde. Aufgrund der in den vergangenen Jahren gezeigten Verhaltensweisen nahm die Klägerin auch die Drohung mit der Brandstiftung ernst.

Am 01. April 2005 befestigte Johann D. ein deutlich sichtbares Schild an seiner Stallwand mit der Aufschrift: " A. ist und bleibt eine Ratte". Er entfernte das Schild erst am 24.12.2005, brachte es jedoch im Januar 2006 erneut an.

Am 03.10.2005 verlangte er von der Klägerin Geld, indem er ihr androhte, dass alles wieder von vorne anfange, wenn sie ihn n...

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