Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. wichtiger Grund. Abschluss eines Aufhebungsvertrages. drohende betriebsbedingte Kündigung zum selben Zeitpunkt. Unzumutbarkeit des Abwartens der Kündigung. schützenwertes Interesse. höhere Abfindung. keine 10%-Grenze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages gelöst, liegt ein wichtiger Grund iS des § 159 Abs 1 S 1 SGB III vor, wenn der Arbeitgeber mit einer objektiv rechtmäßigen betriebsbedingten Kündigung zu dem Zeitpunkt droht, zu dem das Arbeitsverhältnis gelöst wird, und dem Arbeitnehmer die Hinnahme dieser Kündigung nicht zuzumuten ist (Anschluss an BSG vom 12.7.2006 - B 11a AL 47/05 R = BSGE 97, 1 = SozR 4-4300 § 144 Nr 13).

2. Im Falle einer drohenden, rechtmäßigen Arbeitergeberkündigung zum selben Zeitpunkt kann eine höhere Abfindung, die im Fall eines Aufhebungsvertrages gezahlt wird, ein schützenswertes Interesse darstellen, und zwar auch dann, wenn die Abfindung nicht um mindestens 10 % höher ist als im Falle einer Kündigung.

 

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 16. Juni 2020 und Abänderung des Bescheides vom 16. Juni 2020, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020, verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 01. April 2020 bis 21. April 2020 zu zahlen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine dreiwöchige Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe.

Der im Jahr 1968 geborene, geschiedene Kläger war seit 1989 durchgehend als gewerblicher Mitarbeiter bei der v-GmbH in der Betriebsstätte in A-Stadt beschäftigt. Die maßgebende ordentliche Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug sieben Monate zum Monatsende.

Aufgrund einer Restrukturierungsmaßnahme im Jahr 2019 wurden am Standort A-Stadt insgesamt 155 Arbeitsplätze abgebaut. Zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile vereinbarten Unternehmen und Betriebsrat einen Sozialplan.

Am 23.08.2019 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Der Vertrag enthielt den Hinweis, dass von dem Arbeitsplatzabbau auch der Kläger betroffen sei, so dass die Vertragsparteien übereingekommen seien, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist zu beenden. Es wurde vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis "auf Veranlassung des Arbeitgebers unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist" mit dem Ablauf des 31.03.2020 beendet werden solle. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, dem Arbeitnehmer ein qualifiziertes, wohlwollendes Arbeitszeugnis zu erteilen. Als Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes erhielt der Kläger nach Maßgabe und unter Anwendung des Sozialplans eine Abfindung i.H.v. 195.000 € brutto.

Am 27.02.2020 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.04.2020 persönlich arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld, nachdem er sich bereits zuvor rechtzeitig arbeitsuchend gemeldet hatte. In einem Fragebogen zum Aufhebungsvertrag nahm er dahingehend Stellung, dass auch sein Arbeitsplatz von dem Arbeitsplatzabbau betroffen gewesen sei.

In der Arbeitsbescheinigung gab der Arbeitgeber an, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Falle der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages betriebsbedingt am 31.08.2019 zum 31.03.2020 gekündigt hätte (kein vertragswidriges Verhalten des Klägers).

Auf Nachfrage der Beklagten konkretisierte der Arbeitgeber seine Angaben zunächst dahingehend, dass eine konkrete Kündigung seitens des Arbeitgebers aus betrieblichen, nicht verhaltensbedingten Gründen gedroht habe. Das Beschäftigungsverhältnis wäre demnach unter Einhaltung der Kündigungsfrist und Zahlung einer Abfindung zum selben Zeitpunkt beendet worden. Im Falle der Kündigung durch den Arbeitgeber wäre die Sozialauswahl eingehalten worden.

Mit Bescheid vom 16.06.2020 stellte die Beklagte daraufhin fest, dass in der Zeit vom 01.04.2020 bis 21.04.2020 eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe von drei Wochen eingetreten sei. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Anspruch mindere sich um 21 Tage. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag wurde die Sperrzeit leistungsrechtlich umgesetzt, und dem Kläger wurde Arbeitslosengeld ab dem 22.04.2020 bewilligt.

Hiergegen legte der Kläger form- und fristgerecht Widerspruch ein. Der Aufhebungsvertrag sei ausschließlich vor dem Hintergrund der Vermeidung einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung und der interessensausgleichs- und sozialplanpflichtigen Restrukturierung (Personalanpassung) geschlossen worden. Im Zuge der Vorbereitung und Abwicklung der Personalanpassungsmaßnahme habe auch eine Betriebsversammlung stattgefunden, an der eine Vertreterin der Agentur für Arbeit teilgenommen habe. Dabei habe die Vertretung der Beklagten anlässlich der Betriebsversammlung ausdrücklich erklärt, dass für den Fall ...

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