Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei dem Chefdirigenten und künstlerischen Leiter eines Philharmonischen Orchesters

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

2. Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Chefdirigent und künstlerische Leiter eines Philharmonischen Orchesters der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

3. Unterliegt dieser keiner signifikanten Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Ausübung seiner Tätigkeit, ist ihm die freie Annahme und Ausführung anderweitiger Dirigate gestattet, kann er eigenständig die Programm- und Konzertinhalte bestimmen und hat er allenfalls ein geringes unternehmerisches Risiko zu tragen, so ist von dem Bestehen einer selbständigen Tätigkeit auszugehen.

4. Demgegenüber führt die Vereinbarung eines Pauschalhonorars nicht zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung, wenn dessen Anteil am Gesamthonorar weniger als ein Viertel beträgt.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2017 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 22. Mai 2017 sowie des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2017 (ergangen unter der Versicherungsnummer ...) wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers zu 2.) als Chefdirigent und künstlerischer Leiter bei der Klägerin zu 1.) nicht der Versicherungspflicht in den Versicherungszweigen der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

 

Tatbestand

Im Streit zwischen den Beteiligten steht die Frage, ob der Kläger zu 2.) in der seit dem 1. September 2016 bis dato fortlaufend bei der Klägerin zu 1.) ausgeübten Tätigkeit als Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Der Kläger zu 2.) ist ausgebildeter Violinist und Dirigent. Vor seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 1.) war der Kläger zu 2.) unter anderem als Chefdirigent des L. Orchestra (1985 bis 1989) sowie eines Radioorchesters (1994 bis 2002) und ab 1998 auch der J. Sinfonia tätig. Diese Position hatte der Kläger zu 2.) von 1999 bis 2004 auch bei der Sinfonietta in P. (Finnland) inne. Im Zeitraum 2002/2003 bis 2008/2009 war der Kläger zu 2.) Generalmusikdirektor der Staatsphilharmonie R. in L.. Darüber hinaus hatte der Kläger zu 2.) auch Engagements bei weiteren in- und ausländischen Orchestern. Bislang wurden über 50 seiner musikalischen Leitungen auf Tonträger eingespielt.

Unter dem 26. Juli 2016 (Blatt 12 ff. der Verwaltungsakte) schlossen die Klägerin zu 1.) - ein Eigenbetrieb der Stadt K. -, vertreten durch den Oberbürgermeister B., und der Kläger zu 2.) einen „Dirigentenvertrag“. Darin heißt es unter anderem:

§ 1 (Bestellung zum Chefdirigenten des Eigenbetriebs K. / Laufzeit des Vertrages)

(2)

Der Vertrag hat eine Dauer von fünf Jahren. Er beginnt am 1.9.2016 und endet am 31.8.2021. Dies entspricht fünf Spielzeiten.

(3)

Das Recht beider Vertragsparteien, den Vertrag außerordentlich aus wichtigem Grund zu kündigen, bleibt unberührt. Ein wichtiger Grund für die Philharmonie liegt insbesondere dann vor, wenn der Ruf der Philharmonie durch den Chefdirigenten Schaden nimmt. [...]

(4)

Über eine Verlängerung des Vertrags sowie die Dauer einer etwaigen Verlängerung und eine hiermit einhergehende etwaige Anpassung der Vergütung entscheiden die Vertragsparteien einvernehmlich und in Abstimmung mit dem Orchester. Eine Verlängerung setzt voraus, dass der Chefdirigent dem Intendanten der Philharmonie bis spätestens zum Ablauf des 30. September 2019 mitteilt, dass er an einer Verlängerung des Vertrages interessiert ist.

§ 2 (Umfang und Art der Tätigkeit, künstlerische Leitung)

(2)

In jeder Spielzeit soll der Chefdirigent mindestens zwanzig Konzerte planen, vorbereiten und dirigieren.

(3)

Der Chefdirigent ist für die von ihm dirigierten Konzerte mit dem Orchester der Philharmonie in Absprache mit dem Intendanten verantwortlich. Der Chefdirigent hat hierbei ein Vorschlagsrecht. Die Vorschläge des Chefdirigenten dürfen von dem Intendanten der Philharmonie nur abgelehnt werden, sofern und soweit sie nicht im Einklang mit dem Charakter der Philharmonie oder mit ihrem Haushaltsplan und ihren finanziellen Mitteln stehen.

Das Orchester der Philharmonie untersteht dem Chefdirigenten in künstlerischen Angelegenheiten. Er hat die künstlerische Leit...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge