Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Kapitalerträge aus Schmerzensgeldabfindung bzw Schonvermögen

 

Orientierungssatz

Kapitalerträge bzw Zinseinkünfte aus einer zum Schonvermögen zählenden Schmerzensgeldabfindung sind gem § 82 Abs 1 S 1 SGB 12 als Einkommen einzusetzen.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2010 unter Einbeziehung des Bescheides vom 26.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 verurteilt, der Klägerin weitergehende Grundsicherungsleistungen für den Monat Dezember 2009 i.H.v. 0,41 €, für den Monat Januar 2010 i.H.v. 151,64 € und für den Monat Februar 2010 i.H.v. 151,64 € zu gewähren.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt 1/4 der Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung der aus einer Abfindung gezogenen Kapitalzinserträge.

Die 1980 geborene Klägerin leidet an einer Lähmung der rechten Körperhälfte, einer spastischen Hemiplegie, einer Aphasie mit ausgeprägter Störung der Sprache, einer Dyskalkulie und Einschränkungen kognitiver Funktionen. Sie ist als Schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 unter Feststellung der Merkzeichen G, aG, H, RF anerkannt. Es besteht bei ihr eine Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe 2. Sie ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt. Die Beeinträchtigungen der Klägerin sind auf den im Jahr 1999 erlittenen Schlaganfall und einer fehlerhaften notärztlichen Versorgung zurückzuführen. Die Auseinandersetzung mit den behandelnden Ärzten wegen der erlittenen Schäden wurde vergleichsweise durch eine vom Haftpflichtversicherer der Ärzte gezahlten Abfindung in Höhe von 400.000,- Deutsche Mark beigelegt. In der Abfindungserklärung der P… Versicherung vom 5.6.2001 heißt es:

“Gegen Zahlung des Betrages von 400.000,- DM erkläre ich mich mit allen Ansprüchen, die von mir oder von den durch mich gesetzlich vertretenen Personen gegen die R… L…-klinik deren Angestellte aus der Behandlung am 9.4.1999 aus irgendwelchen Rechtsgründen erhoben werden können, für endgültig abgefunden (....)„.

Die Klägerin beantragte am 17.12.2009 die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch -Sozialhilfe- SGB XII und gab in Bezug auf ihre Vermögenssituation an, über Bank- Sparguthaben in Höhe von 60.367,37 Euro, über Wertpapiere in Höhe von 88.080,13 Euro und Lebensversicherungen im Werte von 50.000,- Euro zu verfügen, wobei es sich um geschütztes Vermögen aus der Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 195.000,- Euro wegen ärztlicher Fehlbehandlung handele. Als Einkommen gab die Klägerin u.a. Kapitalerträge (z.B. Zinsen) in Höhe von 5315,- Euro an.

Mit Bescheid vom 19.1.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für den Zeitraum vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 in Höhe von 38,73 Euro monatlich. Die Beklagte hat als monatliches Einkommen u.a. Zinseinkünfte in Höhe von 442,92 Euro angerechnet. Begründend führte sie aus, es werde unterstellt, dass das gesamte Vermögen Schonvermögen darstelle, die abschließende Beurteilung stehe aber noch aus. Nicht dem Schonvermögen zurechenbar seien die Zinsen, die für das Kapital gezahlt würden. Diese stellten Einkommen im Sinne von § 82 SGB XII dar und seien auf zwölf Monate des Kalenderjahres aufzuteilen. Ausgehend von dem angegebenen Gesamtzinsbetrag berechne sich ein Betrag in Höhe von 442,92 Euro monatlich.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie könne nicht nachvollziehen, dass das Vermögen als Schonvermögen geschützt sei, jedoch die daraus gewonnenen Zinsen Einkommen darstellten und zur Grundsicherung herangezogen würden.

Mit Änderungsbescheid vom 26.1.2010 setzte die Beklagte die Grundsicherungsleistungen für Dezember 2009 bis Februar 2010 auf den Betrag von 50,03 Euro wegen einer Korrektur des Freibetrages aus Arbeitseinkommen neu fest.

Mit Antrag vom 1.2.2010 erhob die Klägerin vor dem Gericht Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 21 SO 49/10 ER). Der Antrag wurde mit Beschluss vom 18.2.2010 mangels Anordnungsgrund abgelehnt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.5.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei höchstrichterlich nicht entschieden, ob es sich bei Zinseinnahmen aus der Kapitalanlage einer Schmerzensgeldzahlung um geschütztes Einkommen oder Vermögen handele. Das Bundessozialgericht (BSG) habe jedoch in dem Revisionsverfahren B 8/9b SO 7/06 R zu der Problematik Stellung bezogen, es werde insoweit auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2007 verwiesen.

Die Klägerin hat am 27.5.2010 Klage erhoben. Der Abfindungsbetrag stelle Schmerzensgeld dar, dessen Einsatz für sie eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII bedeuten würde. Ebenso verhalte es sich mit den aus der Abfindung ergebenden Zinserträgen. Der Anrechnungsschutz für Rechtspositionen, die sich aus § 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) er...

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