Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Nach diesen Kriterien beurteilt sich auch, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH als abhängig Beschäftigter oder als Selbständiger zu bewerten ist.

2. Ist er am Gesellschaftskapital zu 50 % beteiligt, so reicht dies allein nicht aus, um eine Selbständigkeit zu begründen, weil er kein Mehrheitsgesellschafter ist.

3. Trägt der Gesellschafter-Geschäftsführer ein unternehmerisches Risiko in Form selbstschuldnerischer Bürgschaften in erheblicher Höhe und besteht ein deutliches wirtschaftliches Interesse am Gedeihen der Gesellschaft, so spricht eine ihm erteilte Generalvollmacht für das Bestehen einer selbständigen Tätigkeit.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.06.2021; Aktenzeichen B 12 R 8/19 R)

BSG (Beschluss vom 18.05.2021; Aktenzeichen B 12 R 8/19 R)

 

Tenor

Der Bescheid vom 15.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2017 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte im Rahmen einer durchgeführten Betriebsprüfung zu Recht Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) in Höhe von 57.908,40 EUR für die Zeit vom 01.01.2013 bis 30.12.2015 nachgefordert hat.

Die Klägerin ist Betreiberin eines Küchenstudios, die sich auf den Verkauf von Küchenmöbeln und Küchenzubehör inklusive Dekorationsgegenständen aller Art spezialisiert hat. Zuvor war sie ein reines Möbelhaus, welches in Form eines Einzelunternehmens ("Möbelhaus T1 e.K.") von den Eltern des Beigeladenen zu 1) innegehalten wurde. Der Beigeladene zu 1) ist gelernter Einzelhandelskaufmann für Möbel. Im Jahre 2000 erfolgte die umfassende Überschreibung des Unternehmens durch seine Eltern auf ihn. Zwischen dem 01.01.2013 und dem 20.11.2016 war er kaufmännischer Angestellter und gleichsam Gesellschafter der nunmehr als Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführten Klägerin. Dieser liegt ein Stammkapital von 25.000 EUR zugrunde, von dem der Beigeladene zu 1) Anteile in Höhe von 12.500 EUR hält. Die andere Hälfte hält Herr T3, welcher vor Gründung der Klägerin im Einzelhandelsunternehmen als Verkäufer angestellt sowie zwischen dem 01.01.2013 und dem 20.11.2016 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin war.

Die Klägerin wurde als Gesellschaft mit notarieller Urkunde vom 21.03.2012 gegründet. Der hierzu als Anlage zur Urkunde geschlossene Gesellschaftsvertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen:

-Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer, diese bedürfen im Innenverhältnis der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft in dem jeweils geübten Umfang hinausgehen. Eine Geschäftsordnung kann beschlossen werden, solange es diese nicht gibt, ist für alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, im Innenverhältnis die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich (§ 6 des Gesellschaftsvertrages),

-die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen der einfachen Mehrheit, im Falle der Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt (§ 7).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gesellschaftsvertrages wird auf Bl. 42 ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Mit Gesellschafterbeschluss desselben Tages wurde Herr T3 zum Geschäftsführer bestellt. In der Anlage zum Gesellschaftsvertrag war festgelegt, dass er einzeln zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt und von den Einschränkungen des § 181 BGB befreit sei.

Zur Konkretisierung des § 6 des Gesellschaftsvertrages beschloss die Gesellschafterversammlung darüber hinaus den Erlass einer Geschäftsordnung mit auszugsweise folgendem Inhalt:

Die Gesellschafterversammlung beschließt über alle Maßnahmen, die ihr nach Gesetz oder Satzung zugeteilt sind. [...] zur Kompetenz gehören hiernach beispielsweise:

  -die Maßnahmen nach § 46 GmbHG,

  -die Änderungen der vorliegenden Geschäftsordnung für die Geschäftsführung,

  -die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern,

-der Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit Geschäftsführern,

-der Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit Gesellschaftern, sowie die Wahrnehmung hieraus resultierender Rechte und Pflichten, insbesondere auch etwaiger Weisungsrechte aus Anstellungs- oder Dienstverträgen sowie

-Entscheidungen über die nach Abschnitt 2 z...

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