Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Umzug eines behinderten Menschen in eigene Wohnung. Bezug von Grundsicherungs-, Eingliederungs- und Pflegeleistungen. vorleistender Träger. örtliche Zuständigkeit. Kostenerstattung

 

Orientierungssatz

Erhält ein Hilfebedürftiger Grundsicherungs-, Eingliederungs- und Pflegeleistungen, hat der vorleistende Träger einen Kostenerstattungsanspruch gegen den örtlichen Sozialhilfeträger gem § 2 Abs 3 S 1 SGB 10 iVm § 102 Abs 2 SGB 10 iVm §§ 41ff, 53ff, 61ff SGB 12, wenn der Hilfeempfänger in eine selbst angemietete Wohnung umzieht und nur von Hilfspflegekräften ohne besonderen Hilfeplan versorgt wird. In einem solchen Fall liegt keine Form des „ambulanten betreuten Wohnens„ vor, sodass mit der örtlichen Veränderung auch ein Zuständigkeitswechsel einhergeht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.04.2013; Aktenzeichen B 8 SO 16/11 R)

 

Tenor

1. Der Beklagte Ziff. 1) wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der Hilfe zur Pflege i. H. v. insgesamt 386.775,54 € sowie die Kosten der Eingliederungshilfe i. H. v. insgesamt 4.931,37 € für die Zeit vom 01.05.2007 bis 30.09.2009 zzgl. Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.

2. Die Beklagte Ziff. 2) wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung i. H. v. insgesamt 9.188,44 € für die Zeit vom 01.05.2007 bis 30.09.2009 zzgl. Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte Ziff. 1) 98 % und die Beklagte Ziff. 2) 2%.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der vom Kläger für den Hilfeempfänger T.S. erbrachten Aufwendungen.

Der am … 1967 geborene Hilfeempfänger leidet seit seinem 12. Lebensjahr an einer neuromuskulären Muskeldystrophie. Er erhält seit 01.02.1999 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Bei dem Hilfeempfänger ist ein Grad der Behinderung von 100 und Pflegestufe III mit besonderem Härtefall seit 24.02.2000 anerkannt.

Der Hilfeempfänger war von Geburt bis zum 30.03.1987 in der Stadt M. wohnhaft. Zum 01.04.1987 verzog er in die Stadt H. und zum 01.09.1994 nach W. in den Zuständigkeitsbereich des Klägers. Dort war er wohnhaft bis 30.04.2007. Vom 01.04.1987 bis zum 31.08.2003 erhielt der Hilfeempfänger von dem Beklagten Ziff. 1) Hilfe zur Pflege (Pflegebeihilfe für Zivildienstleistende, gekürztes Pflegegeld, Kosten für individuelle Schwerstbehindertenbetreuung [ISB] - besondere Pflegekraft durch die AWO einschließlich der Kosten eines Zimmers für die Betreuungsperson) sowie Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Kfz-Hilfe nach den §§ 68 ff., 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG. Ab 01.09.2003 leistete der Kläger dem Hilfeempfänger Hilfe in besonderen Lebenslagen nach den §§ 69 a, b und c BSHG in Form der Hilfe zur häuslichen Pflege (Pflegegeld, Kostenübernahme der notwendigen ungedeckten Kosten einer Pflegekraft der AWO, Kfz-Hilfe i. H. v. monatlich 100,00 €). Ab 01.01.2003 erbrachte der Kläger für den Hilfeempfänger außerdem Grundsicherungsleistungen nach dem Grundsicherungsgesetz und ab 01.01.2005 nach dem SGB XII.

Zum 01.05.2007 verzog der Hilfeempfänger vom Zuständigkeitsbereich des Klägers in die Stadt M., in eine von ihm selbst angemietete Wohnung im gleichen Wohnhaus seiner Eltern. Die Wohnung ist 90 m² groß und verfügt über drei Zimmer. Dort wird er rund um die Uhr vom Paritätischen Sozialdienst M. versorgt. Dies im Rahmen einer sogenannten individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) durch Pflegehilfskräfte für einen Stundenlohn von 22,45 €. Zwei der Pflegehilfskräfte haben ihren Zivildienst beim Hilfeempfänger abgeleistet und anschließend ihre Arbeitstätigkeit bei diesem aufgenommen. Sie sind mit diesem vom Landkreis H. in die Stadt M. umgezogen. Der Hilfeempfänger ist in der Lage, seinen Tagesablauf, Freizeitaktivitäten sowie seine Pflege selbst zu regeln. Er ist mithin in der Lage, seinen Willen kund zu tun, nicht jedoch diesen mechanisch umzusetzen. Für die mechanische Umsetzung seines Willens ist er auf die Hilfe anderer Personen angewiesen. Der Hilfeempfänger benötigt alle zwei Stunden eine zweistündig assistierte Beatmung. Die Pflegehilfskräfte unterstützen ihn bei sämtlichen körperbezogenen Verrichtungen, wie die Druckbeatmung überprüfen, ihn waschen, ihm seine Nahrung geben, mit ihm gymnastische Übungen machen und ihm beim Einkaufen behilflich sein. Es erfolgen pflegerische und hauswirtschaftliche Dienste. Die Assistenten werden auch für die Freizeitgestaltung eingesetzt, so begleiten sie ihn zu allen Aktivitäten und Ausflügen, wie Konzerten und anderen Veranstaltungen. Nach Auskunft des paritätischen Sozialdienstes erfolgt weder eine sozialpädagogische noch eine spezifische qualifizierte Wohnbetreuung. Eine schriftliche Konzeption, Hilfeplanung oder Leistungsdokumentation durch den paritätischen Sozialdienst gibt es nicht.

Der Hilfeempfänger beantragte sowohl bei der Beklagten Zif...

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