Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Grundleistung. Bedarfssatz bei Unterbringung in einer Sammelunterkunft. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Folgenabwägung

 

Orientierungssatz

1. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b und des § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG zur Höhe der Bedarfssätze für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften.

2. Dem in einer Sammelunterkunft untergebrachten Asylbewerber sind im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund einer Folgenabwägung (vorläufig) Leistungen in Höhe der Bedarfssätze nach § 3a Abs 1 Nr 1 und § 3a Abs 2 Nr 1 AsylbLG zu gewähren.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen in Höhe der Bedarfssätze des § 3a Abs.1 Nr. 1 und § 3a Abs. 2 Nr. 1 für die Zeit ab Antragstellung am 29.11.2019 längstens bis zum 31.05.2020 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ab Antragstellung für den ersten Rechtszug bewilligt und Rechtsanwalt E., beigeordnet. Ratenzahlung wird nicht angeordnet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).

 

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 29.11.2019 gegen den Bescheid vom 18.11.2019 anzuordnen und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch in die Bedarfsgruppe eins einzuordnen und im Team entsprechende Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren,

ist zulässig und begründet.

I.

Einstweilige Anordnungen nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (das materielle Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO)). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen.

II.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung liegen vor. Der Antrag ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Er gehört, da er sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält und über eine Aufenthaltsgestattung verfügt, zum Kreis der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, die Anspruch auf Grundleistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG haben. Der Antragsteller ist am 30.01.2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er bezieht laufend Leistungen nach dem AsylbLG.

Das Gericht hat erhebliche Zweifel daran, ob sich die streitentscheidende Norm des § 3 a Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungskonform erweisen wird. Zu den Beweggründen, welche diese Zweifel auslösen, verweist die Kammer auf die Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes vom 29.3.2019 zum Referentenentwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Stand: 26.03.2019), III Nummer 3, Seite 5 ff.. Dort wird folgendes ausgeführt:

„Gesonderte Bedarfsstufe für Erwachsene in Flüchtlingsunterkünften (§ 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG-E)

Mit der Nummer 2b wird eine besondere Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte eingeführt, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder vergleichbaren Unterkünften untergebracht sind. Die Bedarfsstufe beträgt 90 Prozent des Satzes der Bedarfsstufe 1. Die Veränderung erfolgt in der Annahme, dass sich bei einer Gemeinschaftsunterbringung für die Bewohner(innen) Einspareffekte ergeben, die mi...

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