Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Schüler der Klasse 10. sachlicher Zusammenhang. organisatorischer Verantwortungsbereich der Schule. Erholungspause im Stadtpark. erweiterter Schulhof. schriftliche Bestätigung der Eltern. Erlaubnis der Schule: Verlassend des Schulhofs. versicherte Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der Kläger war während der Erholungspause im Stadtpark versichert, weil diese Tätigkeit von dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule mitgetragen wurde, auch wenn der Stadtpark nicht unmittelbarer Teil des Schulgeländes ist. Dies ergibt sich für die Kammer bereits aus der Zeugenaussage der Schulleiterin. Denn der räumliche Verantwortungsbereich der Schule wurde aufgrund der räumlichen Nähe zum Schulgelände/-hof und dem stark begrenzten Platzangebot des Schulhofes für die Schüler des Gymnasiums auf den Stadtparkbereich gelockert. Der Stadtpark wird von der Schule für die Erholungspausen als "erweiterter Schulhof" nicht nur toleriert, sondern auch befürwortet. Auf eine solche Handhabung bzw regelmäßige Übung der Schulpausengestaltung ab der 10. Klasse zur Erholung nimmt die Schule insofern "organisatorischen" Einfluss, als dass sie den Schülern ab dieser Klassenstufe und vor Erreichen der Volljährigkeit - mit schriftlicher Bestätigung der Eltern - das Verlassen des Schulgeländes zur Erholung konkret erlaubt. Dabei genügt bereits die Unterschrift der Eltern, es erfolgen nach Aussage der Zeugin keine weiteren Hinweise auf Haftung oder "Versicherungsschutz" etc an die Eltern.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.06.2022; Aktenzeichen B 2 U 20/20 R)

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2018 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 18.01.2018 ein Arbeitsunfall ist.

3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 18. Januar 2018 als Arbeitsunfall in der Schüler-Unfallversicherung streitig.

Der am ... Juni 1999 geborene Kläger war Schüler des ...Gymnasiums in ... und ist als Schüler bei der Beklagten versichert. Am 18. Januar 2018 hielt sich der Kläger gemeinsam mit zwei Mitschülern gegen 11:45 Uhr im Rahmen der zweiten großen Schulpause im Stadtpark auf. Der Stadtpark grenzt unmittelbar an die Schule, er ist durch eine Straße vom Schulgelände getrennt. In diesem Zeitraum herrschte generell ein Unwetter in Form von Sturm und Schneefall (Sturmtief „Friederike“), wobei das Wetter zum Unfallzeitpunkt „aufgeklart“ sein sollte. Im Stadtpark rauchte der Kläger mit einem der Mitschüler und hielt sich dort zur Erholung auf. Während dieses Aufenthalts fiel dem Kläger ein sehr großer und schwerer Ast auf den Kopf und den Körper. Durch den Ast erlitt der Kläger ein Polytrauma mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma sowie Frakturen des Wadenbeins und des Volkmanndreiecks. Der Kläger wurde nach Eintreffen des Notarztes am Unfallort unmittelbar auf der Intensivstation im Klinikum, ... stationär behandelt.

Infolge des Unfallereignisses konnte der Kläger an den anstehenden Abitur-Prüfungen nicht teilnehmen. Die Teilnahme des Klägers an einer zeitlich versetzten Wiederholung der Abitur-Prüfungen nach seiner Genesung blieb erfolglos.

Mit Bescheid vom 20. April 2018 informierte die Beklagte den Kläger, dass die Behandlung zu Lasten der Beklagten abgebrochen werde, weil ein Schulunfall nicht vorliegen würde. Dies begründete die Beklagte damit, dass eine versicherte Tätigkeit nicht vorgelegen habe, weil der Kläger den Schulhof zum Rauchen verlassen hatte und der Verzehr von Genussmitteln sowie die damit zusammenhängenden Wege dem privaten, nicht versicherten Bereich gehören würden. Das Aufsuchen des Stadtparks sei aus eigenwirtschaftlichen Zwecken erfolgt, sodass der Kläger nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2018 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein, begründet diesen umfangreich am 11. Juni 2018, der mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2018 zurückgewiesen wurde.

Dies begründete die Beklagte im Wesentlichen damit, dass die objektive Handlungstendenz des Klägers maßgeblich auf das eigenwirtschaftliche Interesse des Rauchens ausgerichtet gewesen sei. Ferner hätte einer Erholung im Stadtpark das Unwetter entgegengestanden. Vielmehr wäre eine Erholung auf dem Schulgelände möglich und ausreichend gewesen. Schließlich werde ein gruppendynamisches Verhalten abgelehnt, das zu einem gesetzlichen Unfallschutz hätte führen können, weil der Kläger bereits volljährig sei und die Entscheidung, das Schulgelände zum Rauchen zu verlassen, bewusst getroffen hätte. Daher sei Unfallversicherungsschutz abzulehnen.

Der Kläger hat am 5. November 2018 Klage erhoben. Der Kläger trägt vor, dass er mit seinen Freunden das Schulgelände verlassen habe, um im Stadtpark seine Pause zu verbringen und sich dort vom Schulgelände in ruhiger Umgebung zu erhol...

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