Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. 7 Monate altes minderjähriges Kind. 36monatiger Leistungsbezug

 

Orientierungssatz

1. Allein darin, dass geduldete Bezieher von Asylbewerberleistungen nicht freiwillig ausreisen, liegt keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer iS von § 2 Abs 1 AsylbLG (vgl LSG Celle-Bremen vom 20.12.2005 - L 7 AY 51/05 = InfAuslR 2006, 205).

2. Bei einem im Haushalt der Eltern lebenden minderjährigen Kind, welches erst 7 Monate alt ist, ist § 2 Abs 1 AsylbLG einschränkend dahin auszulegen, dass ein Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten auch dann anzunehmen ist, wenn die Eltern einen derartigen Leistungsbezug aufweisen und das Kind diese Voraussetzungen nur deshalb nicht erfüllt, weil es erst während des Leistungsbezugs der Eltern geboren wurde und noch keine 36 Monate alt ist.

 

Gründe

Der Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, gemeint ist die Notwendigkeit einer Eilentscheidung des Gerichts, zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung. Sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dies ist geschehen.

Die Antragsteller haben Anspruch auf Leistungen unter entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), sog. Analogleistungen. Während das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in seinen §§ 3 bis 7 im Vergleich zum Sozialhilferecht des SGB XII nur eingeschränkte Leistungen vorsieht, ist gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG abweichend das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dass die Antragsteller zu 1) bis 5) über einen Zeitraum von (über) 36 Monaten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Allerdings ist die Antragsgegnerin der Auffassung, dass die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten und dem erst am 13. Juli 2005 geborenen Antragsteller zu 6), dem jüngsten Kind der Antragsteller zu 1) und 2), Leistungen nach dem SGB XII auch deshalb nicht zustünden, weil er noch keine 36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten habe.

Das Gericht folgt dieser Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht. Die Antragsteller haben die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst (dazu unter 1.) und der noch nicht 36 Monate lange Leistungsbezug des Antragstellers zu 6) steht einer entsprechenden Anwendung des SGB XII auf dieses heute 7 Monate alte Kind nicht entgegen (dazu unter 2.).

1.

Die jetzige, oben zitierte Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten (Art. 8 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950). Nach der bis dahin geltenden Fassung war die entsprechende Anwendung des allgemeinen - damals im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geregelten - Sozialhilferechts trotz insgesamt 36-monatigen Leistungsbezugs nach § 3 AsylbLG ausgeschlossen, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Die Motivation für die jetzt geltende Neuregelung ergibt sich aus der Begründung zu Art. 8 Nr. 3 des von der Bundesregierung am 16. Januar 2003 vorgelegten Gesetzentwurfs, wo als Beispiele rechtsmissbräuchlichen Verhaltens die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität genannt werden. Mit den Bestimmungen über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens knüpfe der Gesetzentwurf an den Entwurf einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern an. In Art. 16 des Entwurfs würden Formen negativen Verhaltens zusammengefasst, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung der Leistungen erlaubten. Mit dem allgemeinen Hinweis auf rechtsmissbräuchliches Verhalten werde die Vereinbarkeit mit der zu erwartenden Richtlinie der EU gewährleistet (BR-Drs. 22/03, abgedruckt in GK-AsylbLG, Bd. 1, II, Rn. 168). Inzwischen ist diese Richtlinie mit dem in der Gesetzesbegründung beschriebenen Art. 16 in Kraft getreten (Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003, ABIEG Nr. L 31, S. 18, veröffentlicht in GK-AsylbLG, Bd. 2, IX- 1), wobei zu dem dort aufgeführten Fehlverhalten insbesondere de...

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