Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen der gerichtlichen Überprüfung eines Gefahrtarifs des Unfallversicherungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Der Gefahrtarif der Unfallversicherungsträger ist gemäß § 157 Abs. 2 S. 1 SGB 7 nach Tarifstellen zu gliedern, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden.

2. Der Gefahrtarif eines Unfallversicherungsträgers kann nur inzident, d. h. im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Veranlagungsbescheid überprüft werden.

3. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob das autonom gesetzte Recht mit dem SGB 7, der Ermächtigungsgrundlage des § 157 SGB 7 sowie mit den tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung darstellt.

 

Tenor

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Der Streitwert wird auf 88.000,00 EUR festgesetzt.

3) Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen der Veranlagung des klägerischen Unternehmens aufgrund des zum 01.01.2013 in Kraft getretenen 4. Gefahrtarifs der Beklagten.

Die Klägerin betreibt als eingetragener Verein mit Sitz in A-Stadt verschiedene Einrichtungen für behinderte Menschen. Dazu gehören neben mehreren Werkstätten für behinderte Menschen auch Wohneinrichtungen sowie ein integrativer Kindergarten und eine interdisziplinäre Frühförderstelle. Insgesamt ist das Unternehmen seit dem Jahr 1968 in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten eingetragen und wird dort jeweils nach den geltenden Gefahrtarifen veranlagt. Mit Einführung des sogenannten ersten Gefahrtarifs der Beklagten zum 01.01.1996 wurde das Unternehmen als sogenanntes Gesamtunternehmen mit mehreren Bestandteilen veranlagt. Als Hauptunternehmen wurden die Werkstätten für Behinderte (heute: behinderte Menschen) angesehen und zu Gefahrklasse 7,10 veranlagt. Als Nebenunternehmen wurde ausschließlich der integrative Kindergarten zur Gefahrklasse 4,30 gesondert veranlagt. Diese Veranlagung wurde auch während der Geltungszeit des 2. und 3. Gefahrtarifs der Beklagten aufrechterhalten.

Zum 01.01.2013 trat der 4. BGW-Gefahrtarif in Kraft. Das klägerische Unternehmen wurde mit Bescheid vom 15.11.2012, zugestellt am 20.11.2012, als Gesamtunternehmen wie folgt veranlagt:

Betriebsteil

Gefahr-

tarifstelle

Strukturschlüssel

Bezeichnung

Gefahr-

klasse

Hauptunternehmen

17

0840

Werkstätte für behinderte Menschen

9,68

Nebenunternehmen

11

0540

Heime und Wohneinrichtungen

3,50

Nebenunternehmen

12

0600

Tageseinrichtung für Kinder

2,21

Dabei ging die Beklagte von den Angaben der Klägerin aus. Zur Feststellung der tatsächlichen Unternehmensverhältnisse beauftragte die Beklagte ihren Beratungs- und Prüfdienst mit Ermittlungen vor Ort. Dieser suchte die Klägerin am 17.10.2013 auf und führte eine umfassende Prüfung durch. Abschließend kam der Beratungs- und Prüfdienst zusammengefasst zu folgendem Ergebnis:

·

Die Werkstätten für behinderte Menschen würden den Schwerpunkt des Unternehmens bilden,

·

die Wohneinrichtungen der Klägerin verfolgten keine überwiegend eigenen wirtschaftlichen Zwecke. Im Wesentlichen würden sich die Wohnangebote an die in den Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigte Personen richten,

·

die an die Werkstätten für behinderte Menschen angegliederten Tagesförderstätten würden sich an behinderte Menschen richten, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstätte nicht erfüllten. Arbeiten von wirtschaftlichem Wert würden nicht verrichten, vielmehr würden tagesstrukturierende Maßnahmen angeboten und durchgeführt,

·

die interdisziplinäre Frühförderstelle würde Förder- und Unterstützungsangebote für Kinder umfassen, die in ihrer Entwicklung auffällig, verzögert oder behindert seien.

Diese Angaben und Feststellungen des Beratungs- und Prüfdienstes hat die Beklagte anhand der eigenen Angaben der Klägerin auf ihrer Website überprüft und sodann mit Veranlagungsbescheid vom 12.12.2013 die ursprüngliche Veranlagung des Unternehmens korrigiert. Ab 01.01.2014 hat sie das klägerische Unternehmen wie folgt veranlagt:

Betriebsteil

Gefahr-

tarifstelle

Strukturschlüssel

Bezeichnung

Gefahr-

klasse

Hauptunternehmen

17

0840

Werkstätte für behinderte Menschen

9,68

Hilfsunternehmen

17

Geschäfts- und Verwaltungsstellen

9,68

Hilfsunternehmen

17

Heime und Wohneinrichtungen

9,68

Nebenunternehmen

12

0600

Tageseinrichtungen für Kinder

2,21

Nebenunternehmen

14

0640

Tageseinrichtungen für behinderte Menschen

3,93

Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend aus, dass sowohl die bisherige gesonderte Veranlagung der Wohneinrichtungen als Nebenunternehmen als auch die Veranlagung der interdisziplinären Frühförderung innerhalb der Tarifstelle 12 als Tageseinrichtung für Kinder unzutreffend seien und die Veranlagung mit Wirkung für die Zukunft nach § 160 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfa...

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