Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. arbeitstechnische Voraussetzung. Zimmermann. haftungsbegründende Kausalität. Tragen statistisch geformter Lasten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Feststellung einer Berufskrankheit nach BKV, Nr 2109 ist nicht auf eine vorherige berufliche Tätigkeit als Fleischträger in Schlachthöfen beschränkt, auch durch eine Tätigkeit als Zimmermann können im Einzelfall die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt werden.

2. Nach medizinischer Meinung wird auch durch das Tragen einer statisch geformten Last auf der Schulter Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Dieser Druck wird dadurch erzeugt, dass das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln erfordert, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (zB Kapuzenmuskel). Wird dieser Druck in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über einen längeren Zeitraum ausgeübt, so kann diese Belastung eine vorzeitige Degeneration der Bandscheiben im Bereich der HWS zur Folge haben.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.07.2013; Aktenzeichen B 2 U 11/12 R)

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 02.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2005 wird die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

 

Tatbestand

Der 1945 geborene Kläger arbeitete in der Zeit vom 01.03.1960 bis 01.11.2003 als Zimmerer bei der Firma H-GmbH in A-Stadt. Bis 1977 wurden alle schweren Hebearbeiten im Dachstuhlausbau manuell ausgeführt, ab 1978 kam teilweise ein Kran zum Einsatz, der jedoch aus Platzgründen nicht auf allen Baustellen eingesetzt werden konnte.

Seit 1998 befand sich der Kläger wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer Behandlung. Die LVA Hessen bescheinigte in ihrem Reha-Entlassungsbericht vom 24.03.2003, dass der Kläger unter einem chronisch degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom leide.

Am 21.05.2004 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates leide und beantragte, seine Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah in seiner Stellungnahme vom 13.20.2004 die arbeitstechnischen Voraussetzung für die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlange zur BKV als gegeben an, nicht jedoch diejenigen für die Feststellung einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV. Zur Begründung verwies der TAD darauf, dass der Kläger in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten keine Tätigkeiten habe leisten müssen, bei denen schwere Lasten auf der Schulter mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfbewegungen fortgesetzt zu tragen gewesen seien. Der Beratungsarzt der Beklagten, Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. H. aus B., stellte in seiner Stellungnahme vom 18.11.2004 fest, dass der Kläger nicht an einer degenerativen Veränderung der Lendenwirbelsäule (LWS) leide und daher eine Berufskrankheit Nr. 2108 nicht vorliege. Im Bereich der LWS seien kernspintomographisch keine degenerativen Veränderungen nachweisbar, deren Ausprägung unter Berücksichtigung des Alters als krankhaft zu werten sei. Der Kläger leide zwar an einem Halswirbelsäulensyndrom, obwohl er einer HWS-belastenden Exposition im Sinne der Ziffer 2109 der Anlage zur BKV nicht ausgesetzt gewesen sei. Jedoch lägen im Bereich der HWS neben den Bandscheibenschäden deutliche osteochongrotische und spondylotische Veränderungen vor, so dass vom Vorliegen einer Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule keine Rede sein könne.

Mit Bescheid vom 02.02.2005 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aufgrund Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie an, dass für eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV die medizinischen Voraussetzungen, für eine BK Nr. 2109 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Inhaltlich gab sie dazu die vorangegangenen Stellungnahmen des TAD und des Beratungsarztes wieder.

Gegen die Ablehnung erhob der Kläger am 28.02.2005 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 zurückwies.

Am 29.04.2005 hat der Kläger hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Beschluss vom 27.07.2005 hat der Vorsitzende angeordnet, dass das Verfahren wegen einer BK Nr. 2109 abgetrennt und unter dem gegenwärtigen Aktenzeichen weitergeführt wird. Bezüglich der Feststellung einer BK Nr. 2108 (Az.: S 1 U 99/05) wurde mit Beschluss vom 10.03.2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 10.03.2006 Beweis erhoben zur Arbeitssituation des Klägers bei der Firma H. durch Vernehmung des Zeugen Sch., . Der Zeuge hat insbesondere dargelegt, dass eine wesentliche körperlich...

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