Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Beteiligtenwechsel durch Rechtsnachfolge. keine doppelte Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale. Mehrvertretungszuschlag. Erlöschen der Bindung an das zur Gebührenbestimmung ausgeübte Ermessen wegen Irrtums

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle eines Beteiligtenwechsels durch Rechtsnachfolge erhält der Rechtsanwalt der wechselnden Beteiligten nur eine Verfahrensgebühr und nur eine Auslagenpauschale, jedoch infolge der Vertretung des neuen Beteiligten zusätzlich den Mehrvertretungszuschlag gem Nr 1008 VV RVG (im Anschluss an BGH vom 19.10.2006 - V ZB 91/06 = NJW 2007, 769).

2. Erlischt die grundsätzliche Bindung eines Rechtsanwalts an das zur Gebührenbestimmung ausgeübte Ermessen infolge eines Irrtums, gilt dies nur insoweit, als dieser Irrtum für die ursprüngliche Bestimmung der Gebühr kausal war (im Anschluss an LSG Darmstadt vom 28.9.2011 - L 2 SF 185/10 E).

 

Tenor

Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Juni 2012 wird dahingehend abgeändert, dass die Erinnerungsgegnerin der Erinnerungsführerin weitere Kosten in Höhe von 126,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 50,76 EUR seit dem 22. Mai 2012 und aus 75,86 EUR seit dem 9. Juni 2013 sowie weitere Zinsen in Höhe von 7,86 EUR zu erstatten hat. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Die Erinnerungsgegnerin hat der Erinnerungsführerin 30 % ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Erinnerungsverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der im Rahmen des vor dem SG Fulda geführten Verfahrens S 4 U 8/06 durch die Erinnerungsgegnerin und Beklagte dieses Ausgangsverfahrens zu erstattenden Kosten.

1. Der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin vertrat in dem vorbezeichneten Verfahren, in dem um Folgen einer anerkannten Berufskrankheit sowie um die Gewährung einer Verletztenrente gestritten wurde, den ursprünglichen Kläger, der im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens verstarb. Der Rechtsstreit wurde durch seine Rechtsnachfolgerin, die jetzige Erinnerungsführerin, fortgeführt bei fortdauernder Vertretung durch denselben Bevollmächtigten. Das Verfahren endete durch Berufungsurteil des HessLSG vom 21. Februar 2012 - L 3 U 33/08 -, mit dem die Berufung der Erinnerungsgegnerin gegen das erstinstanzliche Urteil des SG Fulda vom 28. Januar 2008 zurückgewiesen wurde; sie ist daher zur Anerkennung von Unfallfolgen und zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE von 50 % rechtskräftig verurteilt. Entsprechend den im Ausgangsverfahren ergangenen Urteilen ist die Beklagte verpflichtet, der Erinnerungsführerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im vorliegenden Verfahren allein umstritten ist die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des erstinstanzlichen Verfahrens.

Diesbezüglich hatte die Erinnerungsführerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 29. Januar 2008, der am selben Tag bei dem SG Fulda eingegangen ist, beantragt, die Kosten gegen die Erinnerungsgegnerin wie folgt verzinslich festzusetzen (unter Berücksichtigung der Rechnungskorrekturen im Schriftsatz vom 22. Mai 2012):

I. Kosten des ehemaligen Klägers

Widerspruchsverfahrens

Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG

300,00 EUR

Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Klageverfahren

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG

170,00 EUR

Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Dokumentenpauschale, Nr. 7000 VV RVG

81,25 EUR

II. Kosten der Klägerin

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG

170,00 EUR

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG

200,00 EUR

Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG

20,00 EUR

Reisekosten, Nr. 7004 VV RVG

62,40 EUR

Auslagen, Nr. 7006 VV RVG

0,50 EUR

Zwischensumme

1.064,15 EUR

19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG

202,19 EUR

1.266,34 EUR

Diesen Festsetzungsantrag erweiterte die Erinnerungsführerin mit Schriftsatz vom 22. Mai 2012 um einen Hilfsantrag dergestalt, dass im Falle des Festhaltens an nur einer Verfahrensgebühr diese in Höhe des Höchstsatzes von 320 EUR geltend gemacht werde.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Juni 2012 die Vergütung im Wesentlichen antragsgemäß fest. Nicht gewährt wurde die zweite Verfahrensgebühr einschließlich der zweiten Pauschale gem. Nr. 7002 VV RVG als “Kosten der Klägerin„. Zur Begründung führte er aus, dass es sich trotz Rechtsnachfolge um dieselbe Angelegenheit handele, so dass die Verfahrensgebühr kein zweites Mal angefallen sei.

Der Hilfsantrag sei unzulässig, da ein Rechtsanwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen gebunden sei, das er bezüglich der Verfahrensgebühr in der Kostenrechnung vom 29. Januar 2008 der Höhe nach ausgeübt habe und daher nicht nachträglich geändert werden könne.

Den Verzinsungsanspruch tenorierte der Kostenbeamte nicht, sondern berücksichtigte ihn - in antragsgemäßer Höhe - lediglich in den Gründen des Beschlusses.

Am 25. Mai 201...

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