Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgung des schmerzkranken Versicherten mit Medizinal-Cannabis-Blüten im Wege des einstweiligen Rechtschutzes

 

Orientierungssatz

1. Zur Bewilligung von einstweiligem Rechtschutz ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes erforderlich.

2. Der notwendige Anordnungsgrund macht die Darlegung einer dringlichen Notlage erforderlich. Zur Verordnung von Medizinal-Cannabis- Blüten ist eine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis nicht mehr erforderlich. Der Antragsteller kann damit allein mit einem Privatrezept Cannabis aus der Apotheke beziehen. Hat der Antragsteller in der Vergangenheit Cannabis selbst gekauft, so ist es ihm zuzumuten, die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache abzuwarten.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 26.06.2018; Aktenzeichen 1 BvR 733/18)

 

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die vorläufige Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten sowie einem Vaporizer zur Inhalation.

Der 1973 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II, nachdem er zuvor ein Studium der Rechtswissenschaften sowie eine Tätigkeit in einer Unternehmensberatung abbrechen musste. Er ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Er leidet seit 2008 an Cluster Kopfschmerzen mit häufigen, starken Schmerzattacken. Unter dem 26.04.2016 stellte ihm das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Betäubungsmittelerlaubnis für den Bezug von Medizinal-Cannabisblüten aus der Apotheke aus. So bezog der Antragsteller seither 2,5 Gramm Cannabisblüten täglich (75 Gramm monatlich) auf eigene Kosten. Zudem besitzt er eine Sauerstoffflasche zur Inhalation von Sauerstoff während der Kopfschmerzattacken. Eine Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte unter dem 10.03.02017 ab und forderte gleichzeitig die erteilte Erlaubnis aufgrund der geänderten Gesetzeslage bis 11.06.2017 zurück. Nach Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften mit Gesetz vom 10.03.2017 und Schaffung der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis zu Lasten der Krankenkasse beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin am 13.03.2017 telefonisch die Übernahme der Kosten für Cannabisblüten zu 3 Gramm täglich bzw. 90 Gramm monatlich sowie für einen Vaporizer zum Inhalieren der Blüten (Kostenvoranschlag für den Vaporizer über EUR 348,00 Blatt 63 der Gerichtsakte). Die Antragsgegnerin übersandte daraufhin einen Fragebogen an den Antragsteller, den dieser zunächst nicht zurückschickte.

Mit Bescheid vom 30.03.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme ab, da die vorliegenden Unterlagen für eine Entscheidung unzureichend seien. Am 13.04.2017 erhob der Antragsteller Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren holte die Antragsgegnerin eine Stellungnahme ihres Medizinischen Dienstes (MDK) ein. Unter dem 07.06.2017 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die häufigen, heftigen Clusterkopfschmerzen die Lebensqualität sicherlich erheblich einschränkten. Die klinische Evidenz bei Cannabinoiden in der Kopfschmerzbehandlung sei gering. Die im Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts genannte Mindestevidenz werde noch nicht erreicht. Beim Clusterkopfschmerz sei die Datenlage noch schlechter als bei der Migräne. Evidenzbasiert könne man Cannabis derzeit nicht befürworten. Ein überzeugender Wirksamkeitsnachweis fehle bisher. Auf das Gutachten Blatt 48 ff. der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 09.06.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach der Stellungnahme durch den MDK nicht vorlägen, und fragte an, ob der Widerspruch aufrechterhalten werde. Unter dem 27.07.2017 stellte die behandelnde Ärztin Dr. E. die Originalverordnung über 3 Gramm Cannabisblüten täglich bzw. 90 Gramm monatlich aufgrund Verlustes durch den MDK neu aus (Blatt 54 der Gerichtsakte).

Am 03.08.2017 hat der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Er trägt unter Vorlage ärztlicher Atteste vor, er leider unter bis zu zehn Schmerzattacken täglich, die sich jeweils bis zu drei Stunden hinziehen könnten. Neben unerträglichen Schmerzen trete eine linksseitige Lähmung auf und die Augen begännen zu tränen. Danach leide der Kläger unter starken Schweißausbrüchen. Eine Sauerstoffflasche könne etwas Akutlinderung bei Auftreten der Attacken liefern. Der Antragsteller führe aufgrund der Häufigkeit der Attacken immer eine Sauerstoffflasche bei sich. In der Vergangenheit habe der Antragsteller Schmerzmittel wie Ibuprofen, Sumatriptan, Aspirin, Opidiol, Triptane und Novalgin in immer größeren Dosierungen zu sich genommen. Diese hätten keinen Erfolg gebracht. Er habe Magen- und Darmprobleme bekommen. Ein großer Polyp sei aus dem Magen entfernt worden. Schmerzmittel seien seiner Ansicht nach zudem unwirksam für die Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen. Der Antrag...

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