Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweigerung von Rentenzahlungen an Bewohner der Colonia Dignidad in Chile durch den Rentenversicherungsträger

 

Orientierungssatz

Dem Rentenversicherungsträger steht kein Rechts zu, die Rentenzahlung (hier: an einen Bewohner der Colonia Dignidad in Chile) auf einen allgemeinen Verdacht hin ohne weiteres einzustellen bzw von vornherein nicht auszuzahlen, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung konkret vorliegen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen B 13 RJ 39/02 R)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Auszahlung der ihm bewilligten Regelaltersrente verweigern darf.

Der ... 1934 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und lebt seit März 1961 in Chile. Er wohnt dort in der Gemeinde P auf dem Gelände der früheren "Sociedad Benefactora y Educacional DIGNIDAD" (der sogenannten Colonia Dignidad -- CD --).

Im Juli 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente. Nachdem der Kläger im März 2001 der Beklagten den von dieser verlangten formellen Rentenantrag übersandt hatte, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 15.05.2001 ohne vorherige Anhörung Regelaltersrente ab 01.05.1999 und verweigerte zugleich die Auszahlung der Rente unter Hinweis auf die allgemein in der CD herrschenden Zustände. Es sei nicht gewährleistet, dass ein in der CD lebender Berechtigter sich der faktischen Kontrolle bzw. der Einflussmöglichkeiten der CD-Leitung entziehen könne. Es bleibe dem Kläger aber unbenommen, den Beweis der unbeeinflussten Verfügung über die Rentenbeträge anzutreten. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und trug zu dessen Begründung vor, dass die Beklagte keine rechtliche Handhabe besitze, die Zahlung der Rente zu verweigern. Ferner übersandte er der Beklagten eine Bescheinigung über eine Kontoneueröffnung. Auf dieses Konto, das auf seinen Namen laufe, solle die Rente gezahlt werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2002 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass -- soweit sich der Widerspruch gegen die Nichtauszahlung der Rente richte -- der Widerspruch nach ihrer Auffassung unzulässig sei. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 25.01.2002 -- B 4 RA 48/99 R -- bereits festgestellt, dass die Nichtauszahlung der Rentenbeträge keinen Verwaltungsakt darstelle und daher nicht mit dem Widerspruch angefochten werden könne.

Der Kläger hat am 28.02.2002 hiergegen Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt, dass es für die Nichtauszahlung der Rente keine Gesetzesgrundlage gebe. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts NRW und die Entscheidung des 5. Senates des BSG (-- B 5 RJ 38/99 R --) und des 13. Senates des BSG (-- B 13 RJ 67/99 R --) ist er der Auffassung, dass sich aus den §§ 1, 2 und 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -- Allgemeiner Teil -- (SGB I) keine Pflichtenkollision herleiten lasse, die die Beklagte zu ihrem Verhalten berechtige. Darüber hinaus bedürfe es zu einer wirksamen Einstellung der Rente aufgrund des massiven Eingriffes einer Entscheidung in Form eines Verwaltungsaktes. Schließlich habe die Beklagte auch selbst den äußeren Anschein eines Verwaltungsaktes erweckt. Letztlich fehle es zudem an einer ordnungsgemäßen Anhörung und einer nachvollziehbaren Ermessensentscheidung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2002 zu verurteilen, die Altersrente an ihn auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ihr ein sogenanntes dilatorisches Leistungsverweigerungsrecht zustünde. Es handele sich dabei um ein aufschiebendes Gegenrecht, das lediglich die Durchsetzung (nicht aber den Bestand oder das Entstehen) der durch den Bescheid anerkannten Rechte zeitweilig verhindere. Die Geltendmachung dieses Leistungsverweigerungsrechts sei kein Verwaltungsakt. Widerspruch und Anfechtungsklage seien somit nicht zulässig. Materiell berufe sie sich auf eine Kollision der Rentenzahlungspflicht mit der Obhutsverpflichtung, sicher zu stellen, dass dieses soziale Eigentumsrecht möglichst weitgehend verwirklicht werde. Aufgrund der allgemeinkundig festgestellten Tatsachen über die Lebensverhältnisse in der CD unterlägen die Bewohner der CD und damit auch der Kläger einer auf physischer und psychischer Zwangseinwirkung beruhenden Fremdbeherrschung, so dass nicht sichergestellt sei, dass ihm die Renten auch tatsächlich zufließen. Vor diesem Hintergrund sei es gerechtfertigt, die Zahlungspflicht zeitweilig bis zur Beendigung des Fremdzugriffs zu verweigern, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, indem der Kläger aus dem Einflussbereich der CD herausgelange. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger entgegen den allgemeinkundigen Umständen gleichwohl frei über die Rentenleistung verfügen könne, lägen nicht vor. Für das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation obliege ihm sowohl die Feststellbar...

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