Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Hilfegewährung

 

Orientierungssatz

Unfallversicherungsschutz besteht u. a. für denjenigen, der versucht, einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit zu retten. Davon wird auch diejenige Gefahr erfasst, die geeignet ist, einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen. Wird das Bestehen einer erheblichen Gefahr verneint, so kann dennoch Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB 7 dann bestehen, wenn der Helfende wie ein Beschäftigter tätig geworden ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.06.2010; Aktenzeichen B 2 U 12/09 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 20.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 05.09.2004 als Versicherungsfall anzuerkennen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger bei einem Unfall am 05.09.2004, bei dem er sich den rechten Mittelfinger abriss, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Der Unfall ereignete sich auf dem Spielplatz T Str. in X. Dieser Spielplatz wird auf einer Seite von einem Metallgitterzaun begrenzt, der im rechten Winkel an einer Mauer befestigt ist. Dieser Mauer ist eine niedrigere Mauer von maximal 50 cm Höhe vorgesetzt. Die Spielplatzseite liegt ca. 30 cm höher als das hinter dem Zaun liegende Grundstück. Der Kläger hielt sich mit dem Zeugen U auf dem Spielplatz auf, als zwei Mädchen auf die niedrigere Mauer stiegen und von dort über den Zaun auf das andere, umzäunte Grundstück kletterten. Ein Mädchen gelangte auf demselben Wege zurück auf den Spielplatz. Das andere Mädchen war dazu nicht in der Lage und weinte laut und anhaltend. Der Mutter des Mädchens gelang es nicht, ihr Kind über den Zaun zu heben. Der Kläger bot daraufhin - so seine Einlassung - der Mutter des Mädchens seine Hilfe an. Er kletterte über den Zaun, nachdem er ebenfalls vergeblich versucht hatte das Mädchen über den Zaun zu heben und schob es unter einer verschlossenen Tür durch, so dass es wieder auf den Spielplatz gelangen konnte. Als er über den Zaun zurückkletterte blieb er mit dem Ring am rechten Mittelfinger an einer senkrechten Zaunstrebe hängen und riss sich den gesamten Weichteilmantel des Fingers ab. Im Krankenhaus I hielt man eine Replantation nicht für möglich und amputierte den Finger. Im Oktober 2004 zeigte der Kläger den Unfall der Beklagten an. Durch Bescheid vom 20.10.2004 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen mit der Begründung ab, Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII habe nicht bestanden, da keine erhebliche gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit des Mädchens bestanden habe. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos: Die Widerspruchsstelle verneinte auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII (Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006). Mit seiner am 18.07.2006 bei Gericht eingegangenen Klage trägt der Kläger im Einzelnen vor, er habe die Mutter des Mädchens angesprochen ob er helfen könne. Sie habe dies bejaht und er habe versucht das Mädchen über den Zaun zu heben. Dies sei ihm nicht gelungen. Daraufhin sei er über den Zaun gestiegen und habe das Mädchen unter einer Tür auf die andere Seite durchgeschoben. Die Mutter, die schlecht deutsch gesprochen habe, habe zu ihm gesagt, wenn er könne, solle er helfen, das wäre nett. Das Mädchen sei maximal 5 Jahre alt gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 20.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 zu verurteilen, das Geschehen vom 05.09.2004 als Versicherungsfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat den Zeugen U gehört. Dieser hat die Hilfeleistung des Klägers bestätigt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen sowie wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 20.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 ist rechtswidrig. Der Unfall des Klägers vom 05.09.2004 stellt einen Versicherungsfall im Sinne des § 7 SGB VII dar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII oder Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII bestanden hat. Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII wird Personen eingeräumt, die u. a. einen Anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Durch die Fassung der Bestimmung ("seine Gesundheit") wird klargestellt, dass auch eine Gefahr erfasst wird, die die Unversehrtheit des Körpers unangetastet lässt, aber einen schweren gesundheitsbeeinflussenden seelischen Schock herbeizuführen geeignet ist. Im vorliegenden Fall stellte sich der Sachverhalt für den damals 14 Jahre alten Kläger so dar, dass das maximal 5 Jahre alte Mädchen verzweifelt w...

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