Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Arbeitnehmerüberlassung. equal pay. Beitragsnachforderung. Tarifunfähigkeit der CGZP. Verletzung der Aufzeichnungspflicht seitens Arbeitgeber. Schätzungsbefugnis des Rentenversicherungsträgers. Vertrauensschutz. Rechtmäßigkeit des Prüfbescheides. keine Verjährung der Beitragsansprüche

 

Orientierungssatz

1. Eine rückwirkende Feststellung und Forderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen auf Grund der Tarifunfähigkeit der CGZP ist rechtmäßig und verletzt den Arbeitgeber nicht in seinen Rechten.

2. Hat ein Arbeitgeber objektiv seine Aufzeichnungspflichten verletzt, ist der zuständige Rentenversicherungsträger im Rahmen der Betriebsprüfung berechtigt, die Beitragsnachforderung auf der Basis einer Schätzung des Entgeltanspruchs nach den Grundsätzen des "equal pay" geltend zu machen. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es nicht an.

3. Einer Beitragsnachforderung stehen keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen.

4. Für das Eingreifen der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 25 Abs 1 S 2 SGB 4 reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (vgl BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr 7). Eine anfänglich vorhandene Gutgläubigkeit begründet dann keinen Vertrauensschutz mehr, wenn nach Fälligkeit, aber noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt. Auch in diesem Fall gilt die lange Verjährungsfrist. Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit noch keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zunächst vom folgenden Kalenderjahr an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30-jährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (vgl BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 14/99 R aaO).

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 103.565,15 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträge.

Die Klägerin betreibt unter der Firma " ... Dienstleistungs- und Personalservice L. GmbH" ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Mittelständischer Personaldienstleister (AMP). Auf die Arbeitsverträge mit den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern wandte sie seit mindestens Dezember 2005 die Tarifverträge zwischen dem AMP und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) an. Auf der Grundlage der dort vorgesehenen Vergütung entrichtete die Klägerin für diese Beschäftigten die Beiträge zur Sozialversicherung. Zuletzt hatte die Beklagte am 09./10. März 2008 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01. Oktober 2004 bis 31. Dezember 2007 durchgeführt und im Bescheid vom 11. April 2008 sowie im Protokoll der Schlussbesprechung vom 10. April 2008 ausgeführt, die stichprobenweise hinsichtlich der Beitragsabrechnung für befristete Beschäftigungsverhältnisse durchgeführte Prüfung habe eine Nachforderung von insgesamt 187,98 EUR ergeben.

Anlässlich der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die fehlende Tariffähigkeit der CGZP (Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 ABR 19/10) informierte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 2010 über diese Entscheidung. Darin hieß es auszugsweise:

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen. Sie sind daher verpflichtet, selbständig unverzüglich zu prüfen, welche Beitrags- und Meldepflichten im Nachgang zu diesem Urteil zu erfüllen sind."

Daraufhin erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 und 18. Mai 2011 ihre Bereitschaft, sämtliche Arbeitnehmerüberlassungsverträge nebst Personalakten vorzulegen und bei den Entleihern Ermittlungen anzustellen und mit der geänderten Abrechnung zu beginnen.

Vom 14. Oktober 2011 bis 10. Februar 2012 führte die Beklagte abweichend vom üblichen Prüfturnus erneut eine Betriebsprüfung durch. Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09. März 2012, zugestellt am 12. März 2012, für den Prüfzeitraum 01. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2009 eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 103.565,15 EUR fest; Säumniszuschläge machte sie nicht geltend. Zur Begründung führte sie aus, Folge der festgestellten Tari...

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